Noch nie zuvor kam es zu einer solchen Häufung von einzelnen Krisen wie derzeit. Die Folge sind düstere Marktaussichten. Die damit einhergehende Unsicherheit wurde in vielen Vorträgen und Reden auf der siebten Frankfurter Air Cargo Conference am 8. und 9. September im Frankfurter Holm deutlich.
Charles Schlumberger, Marktexperte für Luftfracht bei der Weltbank, zeichnet ein eher zurückhaltendes Bild der aktuellen Luftfrachtentwicklung. Lateinamerika sei die einzige Wachstumsregion, während alle anderen Märkte schrumpften. Das liege auch daran, dass der Seeverkehr wieder zunehme – es komme daher zu Verlagerungen vom Luft- auf den Seeweg.
Schlumberger kritisierte auch die Marktverzerrungen, die durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und die daraufhin von der EU, Japan, den USA und anderen Ländern verhängten Sanktionen verursacht worden seien. Im Gegensatz zu Airlines aus diesen Ländern könnten chinesische Passagier- und Frachtfluggesellschaften auf dem Weg nach Europa weiterhin den russischen Luftraum durchfliegen, was ihnen aufgrund kürzerer Flugzeiten und niedrigerer Kosten einen Wettbewerbsvorteil verschaffe.
Die wichtigsten Ergebnisse des Weltbank-Experten in Bezug auf die Luftfrachtentwicklung sind:
- Der globale Luftfrachtverkehr hat während der Corona-Pandemie gut abgeschnitten, aber er geht zurück und das Risiko von Überkapazitäten steigt.
- Der Passagierverkehr, einschließlich der Belly-Frachtkapazitäten, zieht an, hängt aber von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab (BIP, Aktienmarkt, Inflation).
- Die wirtschaftlichen Aussichten sind ungewiss: Werden der Welthandel und die Nachfrage nach Luftfracht weiter ansteigen?
- Der Druck zur Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen im Luftverkehr nimmt zu und wird sich zunehmend auf die globale Verkehrsbranche auswirken.
Steigendes Angebot, fallende Preise
Für Frachtfluggesellschaften ergibt sich somit eine ambivalente Situation. Durch die zum Teil chaotischen Zustände, die sich derzeit durch die zahlreichen Krisen weltweit ergeben, ist Luftfracht vielfach stark nachgefragt. Zudem fehlen zahlreiche russische Player im Markt.
Während aber gleichzeitig die Corona-Regeln in vielen Teilen der Welt wieder gelockert werden, fliegen dort die Passagierflugzeuge wieder, womit auch die angebotene Frachtkapazität weiter steigt. Immerhin wird rund die Hälfte der Luftfracht in Normalzeiten in den Gepäckräümen der Langstreckenflugzeuge transportiert.
Die Air Cargo Conference 2022 fand am 8. und 9. September im Frankfurter Holm statt. Mit rund 330 Teilnehmern gab es einen neuen Rekord für die Konferenz. © HOLM
Obwohl die Nachfrage während Corona auch für Fracht deutlich zurückgegangen war, waren die Kapazitäten noch stärker gesunken. Durch Corona und die fehlenden Passagierflüge war die Frachtkapazität Mangelware und entsprechend hoch waren die Frachtraten - bis zu diesem Sommer.
Nun aber geraten die Margen der Frachtanbieter wieder unter Druck, zumindest in Märkten abseits China, wo die Passagierflüge wieder unterwegs sind. Ein Beispiel dafür ist der transatlantische Markt zwischen Europa und den USA. Hatte hier vor Corona der Transport eines Kilogramms noch rund zwei Dollar gekostet, stiegen die Raten zuletzt auf fünf Dollar an. Aktuell bezahlen Luftfrachtkunden rund drei Euro, wie Niall van de Wouw, Geschäftsführer des Analysten Xeneta erläuterte.
Grenzen der Bodenabfertigung
Neben den schwachen Marktaussichten waren die Herausforderungen, die sich aus dem Mangel an Bodenpersonal ergeben, ein weiteres heiß diskutiertes Thema auf den Frankfurter Luftfrachttagen. "Die Limits befinden sich nicht mehr in der Luft, sondern am Boden!", hob van de Wouw hervor.
In Deutschland fehlten fast 80.000 Lkw-Fahrer und 47 Prozent der Ausbildungsplätze seien unbesetzt, erläuterte Timo Stroh, Leiter des Bereichs Luftfracht beim Logistiker Dachser. Auf den Flughäfen und bei den Bodenabfertigungsdienstleistern liege der Personalbestand noch immer 20 Prozent unter dem Vorkrisenniveau, was zu Betriebsstörungen und Verspätungen führe.
"An deutschen Flughäfen fehlen immer noch mehr als 7000 Mitarbeiter", sagte er. In Amsterdam, London und an den meisten anderen europäischen Frachtdrehkreuzen sei die Situation nicht viel besser.
Während der Pandemie hatten sich viele Mitarbeiter neu orientiert, was zu einem erheblichen Verlust an Arbeitskräften führte, da die Menschen die Branche verließen, um ihr Glück anderswo zu suchen. Dies ginge mit einem schlechten Image der Luftfrachtbranche einher, so Stroh. Eine Rückkehr dieser Menschen sei nicht zu erwarten.
Lufthansa-Cargo positiv eingestellt
Neben skeptischen Ausblicken gab es auf der Konferenz auch viele optimistische Prognosen von hochrangigen Industrieexperten.
Die vielversprechenden Themen, die auf der Veranstaltung vorgestellt und diskutiert wurden, reichen von der Entwicklung intelligenter und autonom arbeitender Fahrzeuge, die viele der heutigen arbeitsintensiven Tätigkeiten auf dem Vorfeld und in den Frachtterminals übernehmen werden, über die Robotik und die Einbindung künstlicher Intelligenz (KI) in die Prozesse bis hin zur Entwicklung von Avataren, die die Abläufe durch Kiosksysteme oder interaktive Schaukästen sichtbarer machen.
Lufthansa Cargo investiert einen Teil der Corona-Überschüsse in die Flotte. Beispielsweise in Airbus A321-P2F für Frachtflüge innerhalb Europas. © Lufthansa Cargo
Und das ist nicht nur Theorie, wie die Entwicklung intelligenter Fahrzeuge – zum Beispiel autonomer Gabelstapler und anderer Innovationen – zeigt. Diese stellte der Logistikprofessor Benjamin Bierwirth in seinem Überblick über die technischen Entwicklungen in der Luftfracht von den 1970er Jahren bis heute vor.
Ein weiterer Manager, der von Natur aus positiv eingestellt ist, ist Dietmar Focke, Vorstandsmitglied von Lufthansa Cargo. "Wir entwickeln ständig kundenorientierte Lösungen, um die Qualität und den Komfort der Prozesse zu verbessern, und wir gehören heute zu den weltweit führenden Frachtfluggesellschaften, wenn es um Umweltschutzmaßnahmen geht", so Focke.
Als praktische Beispiele nannte Focke unter anderem neue, umweltfreundliche Waschverfahren für Triebwerke, die spezielle "Shark Skin"-Beschichtung auf den Rümpfen der Frachterflotte von Lufthansa Cargo, den vermehrten Einsatz von nachhaltigem Flugtreibstoff (SAF) durch Vereinbarungen mit DB Schenker und anderen Kunden sowie Projekte zur Kompensation von CO2-Emissionen.
"Einzeln betrachtet mögen dies nur kleine Maßnahmen sein, aber zusammengenommen reduzieren sie unseren CO2-Fußabdruck erheblich", fasste er zusammen.
Klare Umweltrichtlinien von der Politik gefordert
Der Druck, sich mehr für einen klimaschonenden Betrieb einzusetzen, ist also auch in der Fracht enorm. Politische Entscheidungsträger müssen aber klare Richtlinien festlegen – so lautete der Konsens auf der Veranstaltung. Freiwillige Vereinbarungen reichten nicht mehr aus, mahnten die Redner. Dringend notwendig sei ein verbindlicher länderübergreifender Rechtsrahmen, der die CO2-Emissionen von der Produktion bis zur Auslieferung einer Sendung erfasst und den Ausstoß von Treibhausgasen schrittweise immer teurer macht.
Focke brachte die Anforderungen auf den Punkt: "Wir brauchen neue steuerliche Regelungen. Es reicht nicht aus, einen Flug von, sagen wir, Frankfurt nach Istanbul, Doha oder Dubai durchzuführen, wenn die Sendungen dort umgeladen werden und der zweite Teil der Reise zu ihrem endgültigen Bestimmungsort in Fernost, Australien oder Afrika ökologisch nicht besteuert wird."
Außerdem sei dies ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für europäische Spediteure. Im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes werde daher ein universelles System benötigt, das den Frachtunternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen ermöglicht.
Dieser Artikel ist in ähnlicher Form zuerst bei unserem Partner Cargoforwarder Global erschienen.