Auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise im Herbst 2008 sahen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück zu einem beispiellosen Schritt gezwungen: Beide stellten sich gemeinsam vor die Kameras und versicherten "den Sparern, dass ihre Spareinlagen sicher sind, auch dafür steht die Bundesregierung." Ein Versprechen, dass im Zweifel wohl nicht zu halten gewesen wäre, aber eine massenhafte Auszahlung von Finanzvermögen und damit den Zusammenbruch des angeschlagenen Bankensystems verhindern sollte. Der Auftritt sollte das dafür nötige Vertrauen der Bürger schaffen. Ob es ihn gebraucht hat, lässt sich im Nachhinein schwer sagen. Fakt ist: den gefürchteten Bank-Run hat es damals nicht gegeben.
Grundsätzlich müsse die Politik in der Frage einer Gutscheinlösung für die in der Corona-Krise in großer Zahl anfallenden Erstattungsforderungen gegenüber Reiseveranstaltern und Airlines versuchen, ein ähnliches Ziel zu verfolgen, sagt Ismail Ertug, SPD-Abegordneter im europäischen Parlament. "Die Kunden müssen wissen: der Staat hilft uns im Notfall, dann steigt auch die Akzeptanz von Gutscheinen." Es sei auch eine Frage der Psychologie, dass Airlines und Veranstalter nicht mit massenhaften (Bargeld-)Entschädigungsforderungen konfrontiert werden.
"Sechs Milliarden Euro müssten reichen"
Für die sozialdemokratische Fraktion sei dabei klar, dass sowohl geltendes EU-Recht umgesetzt, aber auch die leidende Tourismusbranche entlastet werden müsse, so Ertug. Das Konzept der S&D-Fraktion sehe daher die Zusammenfassung der nationalen Reisesicherungsfonds der Mitgliedstaaten in einen "European travel guarantee funds" auf EU-Ebene vor. So könne man den gegenwärtigen Flickenteppich auf europäischer Ebene beenden und Sicherheit für die Unternehmen schaffen. Die Bürger wiederum könnten Gutscheine beruhigt annehmen, denn der Fonds würde eine Ausfallgarantie bereitstellen. Ertug ist überzeugt, dass ein solcher EU-Fonds anfangs auch mit verhältnismäßig wenig Geld auskomme. "6 Milliarden Euro müssten reichen." Angesichts der Billionen-Hilfen in der Corona-Krise eine überschaubare Summe, findet Ertug.
Lesen Sie auch: EU leitet rechtliche Schritte gegen nationale Gutscheinlösungen ein
Der bayerische Abgeordnete trug seine Ideen bei einem Pressegespräch der deutschen Mitglieder des Verkehrsausschusses des EU-Parlaments vor, einen Tag nachdem die EU-Kommission Handlungsempfehlungen zur Gutscheinfrage veröffentlichte und endgültig klarstellte, dass es einen Gutscheinzwang nicht geben wird. Gleichwohl solle die Attraktivität von Gutscheinen gestärkt und Garantiefonds für diese eingerichtet werden.
Ein Ansatz, der den Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP), den CDU-Abgeordneten Sven Schulze, stört. Mitgliedstaaten, die aufgrund der corona-bedingten Liquiditätskrise in der Reisebranche vorübergehende verpflichtende Gutscheinlösungen eingeführt hätten, nun mit Vertragsverletzungsverfahren zu überziehen, sei der völlig falsche Weg. Die von der Kommission erarbeitete Lösung sei "enttäuschend", CDU und CSU hätten viel mehr darauf gedrängt, den Unternehmen weiter entgegenzukommen. "Gutscheine attraktiver machen - darauf können Unternehmen auch selber kommen." Ein verpflichtender Gutschein, versehen mit einer Härtefallregelung, wäre eine Zeit akzeptabel gewesen. Ein Gutschein hätte ja auch bedeuten können, dass einem das Geld erst später ausgezahlt wird, so der Parlamentarier aus Sachen-Anhalt.
Liberale wollen legislative Regelung statt Handlungsempfehlungen
In Deutschland hatte die unionsgeführte Bundesregierung ebenfalls mit Zwangsgutscheinen geliebäugelt, um Veranstalter und Airlines zu entlasten. Doch nachdem Brüssel wiederholt klarstellte, dass der finanzielle Entschädigungsanspruch der Passagierrechte weiter gilt, fügte sich Berlin.
Lesen Sie auch: Gutscheinlösung für Flugtickets kommt nicht
Die beiden weiteren Vertreter in der Runde, Anna Deparnay-Grunenberg von den Grünen und der FDP-Abgeordnete Jan-Christoph Oetjen, sehen sich in der Frage des Gutscheinzwangs durch die Entscheidung der EU-Kommission bestätigt. "Verpflichtende Gutscheine kann es im Sinne des Verbraucherschutzes nicht geben, ein Gutschein muss so gut sein, dass der Kunde ihn will," so Oetjen. Das bedeute aus seiner Sicht große Flexibilität, volle Insolvenzabsicherung, Stückelungsmöglichkeiten und dass der Gutschein mindestens 110 Prozent des Wertes der stornierten Reise darstellt. Derzeit entstehe jedoch ein Flickenteppich, der durch die Handlungsempfehlungen der EU nicht entschieden genug angegangen werde, so der Liberale. "Es wäre besser gewesen, wenn die EU das Problem legislativ angeht, statt nur Empfehlungen auszusprechen."
Auch Deparney-Grunenberg fürchtet, "dass die Mitgliedstaaten die lange erkämpften Verbraucherrechte nun torpedieren." Sowohl EU-Kommission als auch -Parlament verteidigten diese, aber der Rat der nationalen Regierungen neige immer wieder dazu, diese zu schleifen. Das könne sich in der Corona-Krise weiter verstärken. "Auch die Bundesregierung hat viel zu lange auf einen nationalen Alleingang gesetzt. Hilfen für die Tourismusbranche können nicht von Verbrauchern erzwungen werden." Dem Vorschlag für einen europäischen Garantiefonds für die Gutscheine stehe ihre Fraktion offen gegenüber.