Neulich war ich in Johannesburg und habe mich über lange Warteschlangen auf dem OR Tambo International Airport gewundert. Nicht über die, die zur Hauptabflugzeit immer da sind im notorisch zu engen Terminal oder an der Sicherheitskontrolle. Nein, über eine Menschenmenge gleich hinter der Eingangstür nahe einer Cafeteria. Die Schlange war fast so lang wie die vor den Check-in-Schaltern.
Und warum standen die alle da? Ich musste zweimal hinschauen, um es zu begreifen. Die Leute wollten sich alle für umgerechnet knapp fünf Euro pro Stück ihre Koffer fingerdick in Plastikfolie einhüllen lassen. Dafür nochmal warten und (für südafrikanische Verhältnisse) obendrein viel Geld ausgeben? Geht’s noch?
Erst später fiel mir ein, dass bei einer früheren Reise nach Südafrika einmal aus meinem Kulturbeutel eine hochwertige Nagelzange gefehlt hatte und der Reißverschluss meiner Reisetasche einen Spalt offen stand. Und ich erst vor kurzem einen Artikel in einer lokalen Zeitung gelesen hatte, wonach trotz massivem Polizeieinsatz das notorische Übel am Flughafen Johannesburg bis heute nie beseitigt wurde, nämlich andauernde Diebstähle aus aufgegebenem Reisegepäck in den Weiten der Gepäckförderanlagen durch organisierte Banden. Na gut, also dann haben Südafrikaner vielleicht einen triftigen Grund, ihre Koffer in Mumien-ähnliche Gebilde zu verwandeln.
Aber ich finde dieses Geschäftsfeld immer noch höchst seltsam. Schließlich kauft man doch einen Reisekoffer oder anderes Gepäckstück, um seine Siebensachen vor Schaden auf Reisen zu schützen. Es sei denn man bevorzugt Accessoires von Hello Kitty oder anderen Kinderkram aus dem Kaffeegeschäft, der nicht für den harten Reisealltag gemacht ist. Aber warum sollte dann ein anständiges Schutzgehäuse nochmal in eine Schutzhülle gewickelt werden? Und was für eine! Es gibt diesen Panzer aus Plastikfolie inzwischen nämlich sogar in giftgrün (in Miami) oder knallrot (in Italien und Frankreich), wie meine Recherchen ergaben.
Bisher war dieses Phänomen an mir völlig vorbeigegangen - ich habe das Einchecken von Koffern auf 90 Prozent meiner Flugreisen nämlich abgeschafft, weil es Zeit und Nerven kostet und man eh immer viel zu viel mitschleppt. Als Mann und ohne große modische Ansprüche geht das ganz gut.
Aber derweil boomt das Geschäft mit den Koffern im Mumienmantel ungemein, das Wall Street Journal berichtet, dies sei jetzt eine 150-Millionen-Dollar-Industrie, soviel setzen Firmen wie „Bag Wrap“ oder „Secure Bag“ mit diesem Plastik-Irrsinn jährlich um, derzeit angeblich schon an 150 Flughäfen in 72 Ländern.
Und was sie alles versprechen auf ihren Websites - High Tech vom Feinsten, dagegen verblasst fast die neueste Flugzeugtechnologie: „Stretch-Folie“, „ultraresistenter Spezialfilm“, „300 Prozent Elastizität“, „17 Mikron dünne Umhüllung“ – hat da mal einer an die Umwelt gedacht? Ja, behauptet eine Firma, das Material sei 100 Prozent recyclebar, das fänden die Kunden heute wichtig, klar.
Ein anderer Hersteller gibt zu, „biologische Abbaubarkeit“ bedeute, dass das Zeug sich im Boden bereits nach 150 Jahren auflöst statt nach 18.000 Jahren. Toll. Und wir alle wissen, dass schon der Grüne Punkt in Deutschland oft eine Mogelei ist, was ist dann erst in Ländern wie Südafrika oder Venezuela, beides große Nutzer der Koffer-Mumifizierung, wo es solche Rücknahme-Systeme gar nicht gibt? Da zählt vor allem, dass nichts aus den Koffern gestohlen oder aber Illegales hineingepackt wird hinter den Kulissen, wie viele Benutzer in Online-Foren schwärmen.
Da habe ich als Westeuropäer ohne solche Probleme hierzulande natürlich leicht reden. Aber trotzdem – ich finde das Geld besser in anständige, langlebige Gepäckstücke investiert als für jeden Flug aufs Neue in absurde Plastikbahnen. Wobei berichtet wird, dass Passagiere alles Mögliche einwickeln lassen, nicht nur Koffer und Taschen, sondern auch Autoreifen, Surfbretter, Fahrräder, Musikinstrumente und sogar eine Hundehütte.
Hoffnungsvoll stimmt mich da eher eine Erfindung, die gerade Airbus, ein Kofferhersteller und eine Telekom-Tochter gemeinsam vorgestellt haben: Den Prototyp des „intelligenten Koffers“. Mit einem programmierbaren Display lässt sich über eine App jederzeit feststellen, wo sich das gute Stück gerade befindet und ob und wo es unterwegs unberechtigt geöffnet wurde, es lässt sich sogar durch eine Neu-Programmierung umleiten und meldet sich automatisch, wenn es droht, in das falsche Flugzeug verladen zu werden. Was fehlt ist ein Alarm, der ausgelöst wird, wenn jemand auf die sinnlose Idee verfällt, das intelligente Stück in Plastik einwickeln zu lassen. Aber dieser Spuk hat sich hoffentlich eh überlebt, wenn in ein paar Jahren das mitdenkende Packstück an den Start geht.