Es ist die erste Anlage dieser Art weltweit: Im niedersächsischen Werlte ist am Montag eine Anlage zur Herstellung von CO2-neutralem Kerosin eröffnet worden. "Damit Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreicht, muss auch der Luftverkehr seinen Beitrag leisten", erklärte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zur Eröffnung. In der Herstellung von CO2-neutralem Kerosin sieht die Umweltministerin auch große wirtschaftliche Chancen für Deutschland.
"Wenn wir jetzt zeigen, dass diese Technologie funktioniert, schafft das auch neue Exportchancen für den Anlagenbau", erklärte Schulze. Sogenannte Power-to-Liquid-Kraftstoffe (PTL-Kraftstoffe) leisteten jedoch nur dann einen Beitrag zum Klimaschutz, wenn zur Produktion des für die Kerosinherstellung notwendigen Wasserstoffs erneuerbare Energien verwendet werden.
"Wer Ja zu grünem Wasserstoff sagt, muss also auch Ja sagen zu Strom aus Wind und Sonne", erklärte Schulze weiter. Deshalb sei auch ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig.
"Bereit für entscheidende Schritte"
Der Klimaforscher und Schirmherr von Atmosfair, Mojib Latif, betonte, dass angesichts extremer Wetterereignisse und aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Klimakrise eine Umstellung der weltweiten Wirtschaft auf Alternativen zu fossilen Brennstoffen dringend geboten sei. "Dies gilt auch für die Luftfahrt", erklärte Latif. "Die Gesellschaft ist bereit für entschiedene Schritte. Wir müssen beim Klimaschutz nicht auf die großen Ölkonzerne warten".
Die neuartige Anlage produziert Kerosin synthetisch aus Wasser und Strom, den Windräder aus dem Umland liefern. Außerdem werden Abfall-CO2 aus Lebensmittelresten einer Biogasanlage sowie CO2 aus der Umgebungsluft verwendet. Den Regelbetrieb plant die Betreiberorganisation Atmosfair ab dem ersten Quartal 2022, dann soll die Anlage täglich acht Fässer mit Rohkerosin produzieren.
Ab 2026 müssen in Deutschland mindestens 0,5 Prozent des Flugkraftstoffes aus PTL-Kerosin bestehen. Dies entspricht jährlich rund 50.000 Tonnen und somit einem Vielfachen dessen, was die neue Anlage in Werlte produzieren kann. 2030 steigt die Beimischungsquote auf zwei Prozent.
Diese Regelung schafft laut Bundesumweltministerium eine Absatzgarantie für neue Kraftstoffe und somit Investitionssicherheit für Unternehmen. Auch die Europäische Kommission plant demnach im Rahmen des Fit-for-55-Pakets die Einführung einer Quote für strombasiertes Kerosin. Das Umweltministerium bereitet laut Ministerin Schulze aktuell außerdem eine Förderrichtlinie für die Produktion von PTL-Kraftstoffen für den Luft- und Seeverkehr vor.
Auf einer Podiumsdiskussion erklärten die Teilnehmer, dass der Bedarf an PTL groß sei. Das Problem sei jedoch, dass es in Deutschland noch nicht genügend grünen Strom gebe, um nachhaltiges Kerosin mit einer guten CO2-Bilanz herzustellen. Daher seien auch Anlagen in Südeuropa denkbar, wo man dann etwa Solarenergie für das Power-to-Liquid-Verfahren nutzen könne. Nach Angaben des Klimaportals verflogen die deutschen Fluggesellschaften im Jahr 2019, also noch vor der Pandemie, insgesamt 11.879.401.738 Liter Kerosin.
Nächstes Projekt in Brasilien
Das nächste Projekt sei für Brasilien geplant, hieß es von Seiten des Unternehmens. Die Anlage solle dann um das Zehnfache größer sein. Die beiden Unternehmen Kühne+Nagel und Lufthansa Cargo haben eigens eine exklusive Partnerschaft zur Förderung und Nutzung von Power-to-Liquid-Flugkraftstoff vereinbart. Die Logistikdienstleister haben sich gemeinsam darauf verpflichtet, den weltweit ersten Produktionsstandort für synthetisches Rohöl in Werlte durch den Kauf von umgerechnet 20 Tonnen, also 25.000 Liter, jährlich zu unterstützen, teilten die Unternehmen mit.
Dorothea von Boxberg, CEO Lufthansa Cargo sagte: "Wir sehen den Schlüssel zu einer nachhaltigen Reduktion unserer Emissionen im Flugbetrieb ganz klar in der Erforschung und Nutzung von synthetischen, nachhaltigen Flugkraftstoffen. Dass wir jetzt zusammen mit Kühne+Nagel Pionierarbeit bei der Power-to-Liquid-Technologie leisten, macht uns besonders stolz und zeigt einmal mehr, dass wir unsere Herausforderungen im Klimaschutz aktiv angehen."
Yngve Ruud, Mitglied der Geschäftsleitung der Kühne+Nagel International AG, verantwortlich für den Bereich Luftfracht, kommentierte: "Bereits heute können unsere Kunden ihre Luftfracht mit Bio-SAF-Lösungen von Kühne+Nagel CO2-neutral versenden. Mit der Beschaffung von synthetischem SAF läuten wir nun ein neues Zeitalter der Luftfahrt ein. Zusammen mit unserem Partner Lufthansa Cargo ermöglichen wir die weltweit erste Power-to-Liquid-Kraftstoffproduktion und senden ein starkes Signal des Engagements und der Kooperation."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich anlässlich der Eröffnung per Videobotschaft. "Um unser Ziel von 200.000 Tonnen grünem Kerosin jährlich bis 2030 zu erreichen, gilt es, die Produktionskapazitäten erheblich zu steigern", sagte Merkel. PTL-Kraftstoffe seien noch sehr teuer und nur begrenzt verfügbar, "aber die Technologie und der Markt werden sich entwickeln".
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) forderte in seiner Videobotschaft für den Luftverkehr einen "konsequenten Umstieg auf alternative Kraftstoffe". Das größte Innovationspotenzial liege aktuell in strombasierten Kraftstoffen. Auch Scheuer betonte jedoch den aktuell hohen Preis und die begrenzte Verfügbarkeit von CO2-neutralem Kerosin. Der Anteil von klimaneutralem Kerosin im Treibstoffmix der Flugzeuge in Deutschland solle in den kommenden Jahren jedoch kontinuierlich steigen, fügte er hinzu.
Der Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für Luftverkehr, Bernd Reuther, forderte die nächste Bundesregierung zu mehr Innovationsförderung auf. "Deutschland ist noch immer ein Hochtechnologieland, was die Herausforderungen der Zukunft mit Erfindergeist statt Verboten bewältigt", erklärte Reuther. "Die nächste Bundesregierung muss dieses Momentum aufnehmen und die Rahmenbedingungen für mehr solcher Projekte schaffen".