Andreas Spaeth (Jahrgang 1966) hat vor 50 Jahren zum ersten Mal ein Verkehrsflugzeug bestiegen. Seitdem ist er in mehr als 75 unterschiedlichen Passagiermaschinen abgehoben. Daten, Fun-Facts und persönliche Anekdoten: In seiner airliners.de-Kolumne "Spaeths Flugzeugquartett" stellt der Luftfahrtjournalist die markantesten historischen und aktuellen Verkehrsflugzeuge vor und schildert seine Erlebnisse mit ihnen. Ein Flugzeugquartett der etwas anderen Art.
Boeing 707
Boeing 707 der Lufthansa © Lufthansa
Typ: Vierstrahliges Langstreckenflugzeug mit Schmalrumpf
Hersteller/Herkunft: Boeing, USA
Erstflug: 20. Dezember 1957
Indienststellung: 26. Oktober 1958 bei Pan Am
Produktionszeit: 1957 bis 1982 (zivile Version)
Anzahl gebaut: 1010 (alle Versionen)
Länge: 46,61 m (alle Daten für 707-300)
Spannweite: 43,40 m
Reichweite: 8700 km
Reisegeschwindigkeit: Mach 0,84
Sitze (max./typisch): 219/141
Warum ich die Boeing 707 ins Quartett aufnehme:
Die Boeing 707 ist ein zentrales Flugzeug in der Evolution des Luftverkehrs. Sie war in alle Welt unterwegs und verband die Kontinente schneller als je zuvor, oft ohne Tankstopps. Die glorreichen Zeiten von Pan Am begannen 1958 mit der 707. Später gab es kaum ein größeres Land, in dem nicht irgendwann die 707 registriert war. In Deutschland bildete sie in den 1960er Jahren das Rückgrat der Lufthansa-Langstreckenflotte – und flog bis in die frühen 1990er für die Flugbereitschaft der Luftwaffe Kanzler und Minister.
Mein erster Flug mit der Boeing 707:
Mit der Boeing 707 bin ich meine erste Langstrecke geflogen. Das war am 18. Dezember 1978, ich war zwölf Jahre alt. Mein Vater arbeitete zu dieser Zeit in Daressalam in Tansania, wir als Rest der Familie wollten ihn zu Weihnachten in Ostafrika besuchen kommen. Ich beneidete meinen Dad heiß und innig dafür, dass er mit der 707 der Lufthansa auf seine Dienstreise fliegen durfte. Das war für mich damals der unerreichbare Maßstab.
Boeing 707 startet mit Rußfahne. © AirTeamImages.com / TT
Leider waren zu jener Zeit schon die Flugpreise der Kranich-Linie derart exorbitant, dass das für eine Privatreise für das Familienbudget undenkbar war. Aber mit der 707 durften wir trotzdem fliegen, immerhin. Allerdings mit Egypt Air! Das war damals die beste Billigverbindung von Deutschland nach Tansania.
Bei Minusgraden stiegen wir in Frankfurt abends in die ägyptische 707, und ich weiß noch, wie enttäuscht ich war. Die grellbunt bezogenen Sitze in Economy waren durchgesessen, Service und Essen mäßig. Das ist selbst mir als Zwölfjährigem schon aufgefallen.
Mitten in der Nacht landeten wir in Kairo, Stunden später ging es mit der nächsten 707 weiter nach Daressalam. Mein erster Nachtflug, es war zu heiß in der Kabine, das Frühstücksomelette schmeckte seltsam und wir landeten heftig schwankend in einem Tropengewitter.
Dann standen wir kreidebleich in unseren Winterklamotten plötzlich im feuchtheißen Afrika im Getümmel der Ankunftshalle. Das vergesse ich nie.
Meine besonderen Boeing-707-Flüge:
Als Schülerredakteur konnte ich im Februar 1985 eine ganz besondere Reise machen: In der Boeing 707 der deutschen Flugbereitschaft mit dem militärischen Kennzeichen 10+01 von Köln/Bonn nach Washington-Dulles, da war ich 17.
Als Mitglied eines Jugendpresseverbandes gingen wir als Gruppe von Jugendredakteuren mit der Luftwaffe auf eine Informationsreise in die USA. Inzwischen allerdings war mir bewusst, dass die 707 schon etwas in die Jahre gekommen war, auch unsere "Otto Lilienthal" – und die Lufthansa hatte ihre letzte schon 1984 ausgemustert.
Cockpit einer Boeing 707 © AirTeamImages.com / Europix
Auch die Luftwaffen-707 wirkten nicht mehr taufrisch, schließlich flogen sie dort seit 1968 – und waren bis 1999 noch über ein weiteres Jahrzehnt im Einsatz. Bestuhlt war die Maschine auf dem Hinweg normal, leider ohne VIP-Abteil – aber ganz vorn gab es tatsächlich gepolsterte Bänke unter den Fenstern anstelle von Sitzen.
So kam ich mir schon auf meiner zweiten USA-Reise fast wie auf Staatsbesuch vor. Während der Tour sind wir dann auch noch mit der "Otto Lilienthal" von Washington nach El Paso in Texas (wo die Luftwaffe ihre Raketenschule unterhielt) und wieder nach Dulles geflogen, leider wieder ohne VIP-Bänke.
Die Maschinen pendelten damals auf diesen Strecken über den Atlantik und wurden je nach Bedarf konfiguriert.
Unser Rückweg in der 10+03 war dann alles andere als glorreich. Wir verpassten beinahe das Flugzeug. Aber vor allem gab es auf diesem Flug nur ganz hinten in der 707-Kabine ein paar Sitzreihen, natürlich alle rappelvoll besetzt, drei Viertel der Fläche waren diesmal mit Luftfracht belegt und nach vorn durch eine Wand abgetrennt.
Als kommender Zivildienstleistender blieb das viele Jahre meine erste und letzte Erfahrung mit der Bundeswehr. Und leider auch meine letzte mit der 707, die ich allerdings in bleibender Erinnerung behielt.
Was mir aufgefallen ist:
Mein Lieblingsteil an der 707 ist die oben vom Leitwerk wie ein Sporn oder Staurohr nach vorn ragende VHF-Antenne. Das sieht richtig schnittig aus und gibt dem ohnehin wohlproportionierten, eleganten Flugzeugkörper das gewisse Etwas.
Die "Boing 707"-Zigaretten wurden extra ohne "e" geschrieben. © Archiv Andreas Spaeth
Diese Antenne hat mich schon als Kind beschäftigt – bei allen 707-Modellen, die ich bekam oder zusammenbaute, brach dieses empfindliche Teil grundsätzlich ab. Das sehe ich heute noch, wenn mir irgendwo 707-Modelle begegnen.
Interessanterweise war das durch die Antenne geprägte, einzigartige 707-Leitwerk in seiner Silhouette so markant und stand für die große, weite Welt, in die die 707 ja flog, dass der Hamburger Zigarettenhersteller Reemtsma tatsächlich in den frühen 1970er eine (kurzlebige) Glimmstängelmarke herausbrachte, auf deren Packung im Look eines Luftpostbriefs (kennt das noch jemand heute?) ein 707-Leitwerk mit Globus drauf prangte.
Der Clou war der absurde Name der Zigarette: "BOING 707". Ernsthaft. Vermutlich um sich markenrechtlichen Ärger mit dem Flugzeughersteller in Seattle zu ersparen.
Was ich noch erzählen wollte:
An den beiden Flughäfen Hamburg und Berlin-Tegel standen Jahrzehnte lang zwei Boeing 707 als Ausstellungsstücke, die beide zuletzt ein eher trauriges Dasein fristeten.
Für den Vierstrahler in Tegel galt das schon viele Jahre. Nach der Schließung des Flughafens war das bittere Ende unvermeidlich – 2021 rückten die Bagger an und zerrissen die 1961 gebaute ehemalige El-Al-707 in nachgemachter Lufthansa-Bemalung. Ich war hautnah dabei, und es tat weh.
Immerhin konnte ich ein paar kleine Fetzen des Rumpfes mitnehmen, manche schwer wie Panzerstahl, die heute in meinem Büro ausgestellt sind. Und ich bekam vom Eigner, dem Deutschen Technikmuseum, ein Original-Fensterpanel der Kabinenverkleidung, – das wiederum aus einer ganz anderen 707 stammte.
Nämlich aus jener, die seit 1999 am Hamburger Flughafen stand, die ehemalige D-ABOD der Lufthansa, gebaut 1961. Auch sie wurde während der Corona-Pandemie 2021 gnadenlos in Hamburg abgewrackt.
Immerhin gelang es mir, einen Coup zu vermitteln, der mich tröstete: Der Sitzhersteller Recaro konnte das legendäre Leitwerk kaufen und per Tieflader an den Firmensitz Schwäbisch-Hall bringen, wo es heute stolz als 707-Denkmal vor einem neuen Gebäude aufragt.
Boeing-707-Leitwerk vor dem Recaro-Hauptquartier. © Archiv Andreas Spaeth
Meine Boeing-707-"Fun Facts":
Im Sommer 1991 studierte ich für ein Summer Quarter an der University of Washington in Seattle, auch um Boeing nahe zu sein. Damals war der 707-Prototyp Boeing 367-80 (Dash-80) bereits vom Abstellplatz in der Wüste wieder nach Seattle gebracht worden.
Am 15. Juli 1991 machte der Prototyp einen einmaligen Rundflug über die lokalen Boeing-Werke zur Feier des 75. Firmenjubiläums – und zum 37. Geburtstag seines eigenen Erstflugs. Heute steht das Flugzeug im Air and Space Museum am Flughafen Dulles nahe Washington D.C..
An diesem Julitag 1991 saß ich in meinem Zimmer auf dem Campus, hörte ein ungewöhnliches Geräusch am Himmel, rannte raus – und sah sie am Himmel im Tiefflug über uns! Kurz darauf traf ich bei einem Open Day am Boeing Field sowohl das Flugzeug am Boden wieder als auch seinen legendären frühen Testpiloten Tex Johnston. Der war ganz in der Nähe am 7. August 1955 in einer legendären Aktion auf einer Vorführung vor riesigem Publikum mit der Dash-80 zweimal auf dem Rücken geflogen, eine sogenannte Barrel Roll.
Und der alte Draufgänger trug auch mit 78 immer noch seine ebenso sprichwörtlichen Cowboystiefel, – die inzwischen im Museum of Flight ausgestellt sind. Vor allem aber sprach er sehr freundlich und altersmilde mit mir und schrieb mir eine Widmung in sein Buch – "For Andreas, a friend from Germany." Unbezahlbar.