„Jetzt alle in die Brace-Position!“, schreit der Trainer durch die Kabinenattrappe. Ein Aufprall steht bevor. Rauch quillt aus den Handgepäckfächern, kurz darauf ist kaum noch was zu sehen an Bord. Ich verschränke meine Arme vor dem Kopf, lege sie auf die Rückseite der Vorderlehne und presse meinen Kopf dagegen. So habe ich es vor langer Zeit mal bei Lufthansa-Trainern gelernt, glaube ich mich zu erinnern. Ich befasse mich als Journalist schon lange und intensiv mit Luftfahrtsicherheit. Und auch mit der Frage, was Passagiere tun können, um sicherer zu fliegen. Nämlich eine ganze Menge.
Es ist mitnichten so wie der verbreitete Irrglaube sagt, dass man bei einem Absturz sowieso tot sei und damit alles Bemühen eh vergebens. Im Gegenteil, bei fast allen Unfällen gibt es zunächst auch Überlebende, die dann manchmal leider trotzdem nicht mehr heil aus dem Wrack kommen, weil die Evakuierung nicht klappt. Und genau deshalb gilt es, sich mental und physisch vorzubereiten auf den Fall der Fälle. Für Besatzungen ist das Alltag, mehrmals im Jahr müssen sie bei ihrer Airline ins Trainingszentrum einrücken und tagelang in verrrauchten Kabinen-Mock-Ups mit Rauch und Flammen kämpfen, Türen aufreißen, Notrutschen ausfahren, Notwasserungen üben, das volle Programm.
An die Passagiere hat aber leider niemand gedacht. Kaum eine Airline traut sich, das Thema Flugsicherheit zu thematisieren, und Fluggästen, ihren Kunden, dasselbe zu zeigen wie den Flugbegleitern. Nur British Airways ist da anders, zum Glück.
Letzte Woche war ich in London-Heathrow, im Trainingszentrum der Engländer. Dort werden seit kurzem für jedermann buchbare Sicherheitskurse angeboten, die im Prinzip dasselbe unterrichten, wie es die Crews immer wieder eingebimst bekommen. Kostet knapp 200 Euro für fünf Stunden und ist sein Geld allemal wert. Zwar wirken die muffigen alten Gebäude wie in einem schlechten Film aus den sechziger Jahren und man denkt, im Hangar nebenan steht sicher noch eine Comet. Auch der Kabinensimulator einer Boeing 737-200 stammt aus grauer Vorzeit. Wie um das zu unterstreichen versagte bei meinem Besuch teilweise die Hydraulik, mit der das Ding normalerweise durchgerüttelt wird, um das Unfallszenario zu simulieren.
Aber darauf kommt es nicht an. Perfekte Scheinwelten gibt es heute auf jedem Dorfrummelplatz. Vielmehr kommt es auf die Botschaft an, und wie sie hier von sehr fähigen Trainern mit langjähriger Erfahrung vermittelt wird. „Seid vorbereitet, macht auf jedem Flug einen Plan, was ihr im unwahrscheinlichen Notfall tun würdet“, lautet das Mantra. Dabei bekommen selbst simpelste Vorgänge plötzlich einen Sinn. Als Vielflieger findet man es oft lächerlich, sich anzuschauen, wenn der Flugbegleiter zeigt, wie man den Gurt öffnet und schließt. Da schaut nun wirklich niemand hin.
Falsch, erfahren wir in London. Vor jedem Start sollte jeder den Gurt viermal öffnen und schließen. Damit prägt sich das Gehirn den Vorgang ein und kann im Notfall besser reagieren. Denn immer wieder sterben Leute an Bord, weil sie in Panik einen imaginären Knopf suchen, der gar nicht da ist, um den Gurt zu öffnen. „Das Gehirn ist auf den häufiger benutzten Autogurt programmiert“, erfahren wir.
Und dann die Brace-Position. Die ist das Wichtigste überhaupt, heißt es. Es gilt, den Kopf bereits dorthin zu bringen, wo er sonst aufprallen könnte, also am nächsten Hindernis wie der Vorderlehne. Soweit hatte ich richtig gedacht. Aber die Hände gehören hinter den Kopf, nicht davor. Und zwar die wichtigere Hand nach unten auf den Hinterkopf, die weniger wichtige oben drauf. Bei gebrochenen Fingern oben bleibt so immer noch die Haupthand heil, um den Gurt zu öffnen. Sowas muss man sich auch als Vielflieger immer wieder einprägen, weil es ja eben in der Praxis so selten vorkommt, zum Glück.
„Aber wann braucht man denn schon Notrutschen?“, fragte eine Teilnehmerin. „Gerade letzte Woche gab es in Gatwick eine Evakuierung“, erklärten die Trainer. Umso motivierter waren alle, sich im roten Overall auf die eigentlich ziemlich mickrige A320-Rutsche zu stürzen. Mir kam sie winzig vor, weil nebenan eine 747-Rutsche steht, auf die Kursteilnehmer nicht dürfen, leider. Und weil ich schon mal bei Emirates in deren supermodernen Trainingszentrum in Dubai von der Oberdeck-Rutsche der A380 gesaust bin. Die ist derart hoch, dass man sie so gebaut hat, dass die Passagiere von oben nicht sehen, wie tief es hinunter geht.
Alle Airlines sollten ihren Kunden die Chance bieten, das Überleben besser zu trainieren. „Rette sich, wer kann“ bekommt da eine völlig neue Bedeutung, denn um etwas zu können, muss man es üben.
Link: Flight Safety Awareness Courses bei British Airways