Wenn sich in der kommenden Woche der EU-Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ENVI des Europäischen Parlaments in Brüssel zusammenfindet, wird auch über die Zukunft der europäischen Luftfahrt entschieden. Denn dort soll unter anderem über den Gesetzesvorschlag "ReFuel EU Aviation - Ensuring A Level Playing Field For Sustainable Air Transport" abgestimmt werden.
Mit der Initiative sollen einige empfindliche Umweltmaßnahmen für die europäische Luftfahrtbranche Realität werden. So würden unter anderem die kostenlos zugeteilten Zertifikate im EU-Emissionshandel ETS verschwinden, die insgesamt verfügbare Anzahl an Zertifikaten reduziert und die Geschwindigkeit der Reduktion erhöht werden.
Das Paket geht aber sogar noch weiter: Fuel-Tankering, also die Mitnahme von nicht notwendigem Treibstoff aus wirtschaftlichen Gründen, soll verboten werden, und eine Pflichtbeimischung von SAF soll etabliert werden.
Das alles geschieht im Rahmen von "Fit for 55", einem Paket von Maßnahmen, mit dem die ursprünglich im "European Green Deal" vereinbarten Ziele erreicht werden sollen. Denn: Die EU hat sich als Ziel gesetzt, bis 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren, und bis 2050 sogar komplett klimaneutral zu werden.
Branche will kostenlose Zertifikate für SAF-Nutzung
Eine Gruppe großer europäischer Luftfahrt-Player, darunter der Airline-Verband Airlines for Europe (A4E), die Flughafen-Verbände ACI und ARC, der Business-Aviation-Verband EBAA und die European Cargo Alliance, fordern Anpassungen in der Funktionsweise des Schemas.
Die Branche würde zwar das Ziel, Rahmenbedingungen für die Produktion und Nutzung von SAF zu setzen, "vollständig unterstützen". Aber sie verlangen gleichzeitig einen "Unterstützungsmechanismus", in welchem Airlines weiterhin gewisse Freizertifikate im EU-Emissionshandel zugute kommen - in "angemessenem" Ausmaß, wie sie es selbst formulieren.
Der Vorschlag der Branchenverbände wäre ein System für den ETS, das die Nutzung von SAF honoriert. Als Beispiel nennen die Verbände ein System, in dem Airlines weiterhin Zertifikate im Emissionshandel kostenfrei erhalten, und zwar mit einem Multiplikator um den Faktor 1 für Bio-Fuels und Faktor 2 für synthetische Kraftstoffe.
Kritik von allen Seiten
Bereits im April äußerte Lufthansa-CEO Carsten Spohr, dass er durch die geplanten Maßnahmen der EU einen Wettbewerbsnachteil befürchtet: "Es kann nicht im Interesse Europas und der EU sein, mit "Fit for 55" die europäische Luftfahrt zu benachteiligen."
CO2-Emissionen würden damit nur verlagert und nicht gesenkt, so die Befürchtung der Branche. Airlines von außerhalb der EU könnten vollgetankt in die EU einfliegen, um hier nicht tanken zu müssen. Verkehrsströme würden sich zudem verlagern, wenn Passagiere auf günstigere Umsteigeflughäfen außerhalb der EU ausweichen. Das Schlagwort hierzu lautet "Carbon Leakage".
Ähnliche Töne schlägt auch der Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) an. Eine Sprecherin sagte gegenüber airliners.de: "Damit diese ambitionierten Pläne der EU zu einem klimapolitischen Erfolg werden, ist es wichtig, dass Wettbewerbsverzerrungen und die Verlagerung von CO2-Emissionen auf Flüge über Drehkreuze außerhalb der EU vermieden werden. Hier besteht dringend Nachbesserungsbedarf - so wie es im Übrigen die Regierungskoalition in ihrem Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebracht hat."
Ganz anders sieht das Transport & Environment. Der Dachorganisation verschiedenster europäischer Umwelt-NGOs gehen die in "ReFuel EU Aviation" verankerten Maßnahmen noch nicht weit genug. Sie verlangt, dass auch Flüge mit Start oder Ziel außerhalb der EU Teil des ETS werden. Außerdem sollten die Freizertifikate sofort bei Inkrafttreten des Maßnahmenpakets gestrichen werden.
Allerdings war die EU bereits bei der Einführung des Emissionshandels an dieser Stelle am Widerstand der internationalen Staatengemeinschaft gescheitert. Statt einem sogenannten "Full Scope" ist darum bislang nur der innereuropäische Luftverkehr im EU-ETS abgedeckt.
Eurocontrol hat jedenfalls schon ausgerechnet, welche Folgen "Fit for 55" für die europäische Luftfahrtbranche hätte. Die gute Nachricht zuerst: Es ist machbar. Das verkehrsreichste der drei berechneten Szenarien wäre dabei skurrilerweise das effizienteste für eine klimaneutrale Luftfahrt im Jahr 2050, weil durch gesteigerte Umsätze mehr Gelder in neue Technologien investiert werden würden.
Denn: Teuer wird der Prozess. Allein für das Jahr 2030 rechnet Eurocontrol mit Mehrkosten in Höhe von 14 Milliarden Euro für die europäische Luftfahrtbranche. Eurocontrol-Chef Eamonn Brannon meint dazu: "Wir müssen die Dekarbonisierung der Luftfahrt beschleunigen, indem wir Handlungen priorisieren und den Wandel fördern, unter anderem mit finanzieller Unterstützung, der Befürwortung von Bündnissen, und der Balancierung zwischen Besteuerung und der Notwendigkeit zur Erholung."
Die Ergebnisse der Abstimmung in Brüssel werden bereits am Montag erwartet. Danach folgt aber noch eine Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments in der Sitzungswoche vom 6. bis 9. Juni, und schlussendlich eine Abstimmung unter den Umweltministern der EU am 28. Juni.