Neulich bin ich von New York nach Chicago geflogen und einige Tage später auf gleicher Route retour. Beide Flüge waren bemerkenswert. Ich war mit United Airlines unterwegs, die jüngst mit Continental fusioniert hat. Auf dem Hinweg saß ich in der "First Class" (die nur auf Inlandsflügen so heißt und ihrem Namen nicht wirklich Ehre macht) einer Boeing 737-700, die vorher bei Continental flog. Hier gab es -zumindest für mich- eine echte Neuheit: Live-TV an allen Plätzen, auch bereits am Boden vor dem Losrollen. Braucht man auf einem Flug von unter zwei Stunden nicht wirklich.
Als ich gerade dachte wie überflüssig ich das finde, flimmerte ein spannender TV-Bericht auf dem Taschenbuch-großen Bildschirm vor mir mit den Höhepunkten früherer TV-Debatten der Präsidentschaftskandidaten. Ich kriegte den Billig-Ohrhörer gar nicht so schnell in die Gehörgänge gefummelt wie es nötig gewesen wäre. Nach dem Start, bei einer Steilkurve, verdunkelte sich plötzlich der Bildschirm, "due to normal aircraft movement", ließ uns eine Anzeige wissen, das Flugmanöver schränkte offenbar den Satellitenempfang kurzzeitig ein.
Trotzdem fragte ich mich bald, ob amerikanische Airlines eigentlich die richtigen Prioriäten setzen, wenn sie für Wahnsinnsgeld ihre Flieger mit Live-TV ausstatten, dann aber, wie meine ergebnislose Nachfrage ergab, selbst in der "First"-Class nicht einmal Kopfkissen vorhalten. "Die haben wir abgeschafft", erklärte mir später ein United-Sprecher, "weil die nach der Schweinegrippe jetzt nach jeder Benutzung gewaschen werden müssten und das zu aufwändig ist." Aha. Gut dass das anscheinend nur die Amerikaner auf Inlandsflügen so sehen. Dann eine Überraschung auf der Rückreise.
Diesmal in einer recht betagten A320 von United Airlines, die seit jeher bei United im Dienst stand. Keine Spur von Bildschirmen in den Sitzlehnen. Schon bei der freundlichen Begrüßung aber erwähnte der Kapitän: "Und im übrigen können Sie ja auf Kanal neun das Geschehen hier über Funk verfolgen, wir heißen United three-five-four."
Da war es wieder! Das hatte ich völlig vergessen und vor vielen Jahren, lange vor 9/11, zuletzt in einer 757 zwischen Los Angeles und Seattle genossen. Der Klassiker von United Airlines, jenes Unterscheidungsmerkmal, das United erst zu United macht, vor allem für Flugfans: Als vermutlich einzige Airline der Welt ermöglicht es der Mega-Carrier den Passagieren, auf US-Inlandsflügen den gesamten Flugfunk auf der Frequenz der Piloten mitzuhören. Zumindest dann, wenn der Pilot das System freischaltet.
Das tun beileibe nicht alle. Denn einige Piloten hassen diese Funktion und wollen keine Ohrenzeugen in der Kabine. Manchmal hilft aber eine freundliche Nachfrage über die Flugbegleiterin beim Piloten und er aktiviert es noch nachträglich. Andere, vor allem alt gediente United-Haudegen, scheinen es zu lieben, auf diese Weise einen spannenden Einblick in ihren Arbeitsalltag zu geben.
Ein kleines Wunder, dass nach allen Umwälzungen als Folge des 9/11-Terrors, allen Spar- und Sicherheitsmaßnahmen und sogar der jüngsten Fusionswelle zum Trotz dieses Kleinod für Luftfahrtbegeisterte immer noch da ist. Derzeit leider nur in den ehemaligen United-Flugzeugen der neuen United-Flotte, aber immerhin.
Endlich erhalten wir unsere Rollfreigabe, sind auf dem Weg zur Startbahn und rollen plötzlich aus der Startposition zur Seite auf eine Abstellfläche. Einige Passagiere schauen irritiert. Ich weiß längst, was Sache ist, habe alles live mit angehört. "United three-five-four, there is a traffic flow problem on the stream to Newark, hold short of runway and stand by", hatte der Controller unserem Piloten mitgeteilt. Erst kurz darauf meldet er sich über Lautsprecher und klärt seine Fluggäste offiziell über die Wartezeit auf. Schon jetzt bin ich im Banne von Kanal neun, finde das viel spannender als jedes Bord-Unterhaltungsprogramm anderswo. Live und selbst mitten drin, dazu noch auf einem der weltgrößten Flughäfen in Chicago O'Hare, das ist schwer zu toppen.
Dann heben wir ab, bald ruft unser Pilot "Cleveland Center", später New York. Zwischendurch berichtet ein "American Eagle"-Pilot über Turbulenzen auf seiner Flughöhe. Dann bittet unser Kapitän die Anflugkontrolle in New York, ob er wegen einiger hoch reichender Wolken seinen Anflugweg um vier Meilen verlegen darf. Alles fliegerischer Alltag, aber absolut faszinierend, selbst derart unmittelbar daran teilhaben zu können, was mit einem und um einen herum gerade passiert. Eine Dimension, die bei allen anderen Airlines leider völlig fehlt.
Als wir schon am Gate in Newark stehen sitze ich immer noch da, im Banne meines Live-Feeds auf dem Kopfhörer, als die ersten schon aussteigen. Schade dass dieses so reale Hörspiel jetzt zu Ende ist. Von mir aus verzichte ich gern auch auf Kopfkissen, wenn United dieses Angebot beibehält und auf die Ex- Continental-Flotte ausweitet.