Air-Berlin-Chef Joachim Hunold war so etwas wie der Überraschungsgast und sein kurzer Auftritt im milden Abendlicht hatte etwas Surreales. Nach ein paar wenigen, hölzernen Worten, in denen er eine massive Bestellung für die Boeing 787 bekannt gab, verschwand er ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Mit einem barschen „keine Fragen!“ machte sich „der Achim“ vom Acker.
Das war am Vorabend des 8. Juli 2007, amerikanisch 07-08-07, einem der glamourösesten Tage der jüngeren Boeing-Geschichte. Damals wurde im Werk Everett bei Seattle mit Pomp und vor Tausenden Gästen der Rollout der Boeing 787 gefeiert.
Am Abend zuvor wurde eine großartige Flugparade aller Boeing-Typen von der 707 bis zur 777-300 abgehalten. Ich habe sie damals von der Dachterrasse des „Future of Flight“ genannten Besucherzentrums verfolgt. Daran musste ich denken, als ich jetzt zum ersten Mal wieder dort war. Das weiße Zelt, Ort des Hunold-Auftritts, steht noch. Nur ist es jetzt gähnend leer und bläht sich leicht im Herbstwind.
In unmittelbarer Nähe des Gebäudes parken auf fast jedem freien Fleck fremdartig anmutende Flugzeugrümpfe. Unter den Tragflächen hängen statt Triebwerken quadratische Betonwürfel, eingeschweißt in gelbe Plastikfolie. Die Türen, die Fahrwerke und manche Fenster sind abgeklebt. Ein bisschen so, wie es auf Flugzeugfriedhöfen aussieht, etwa in Marana, in der Wüste von Arizona. Nur dass dort das Gras nicht so grün wächst wie in Seattle. Und dass diese Flugzeuge hier die Zukunft, nicht die Vergangenheit darstellen. Es sind nämlich allesamt „Dreamliner“.
26 „Traumflieger“ sind derzeit in Everett unter freiem Himmel geparkt. In voller Bemalung von ANA, Japan Airlines und Royal Air Maroc. Bald kommen die ersten beiden für Air India dazu, die sind im Moment in der Endmontage im größten Gebäude der Welt, ursprünglich für die 747 errichtet.
Auf deren Produktionslinie ist es gespenstisch still geworden im Vergleich zu früher. Nicht einmal zwei Flugzeuge des langjährigen Boeing-Flaggschiffs werden im Monat produziert, dafür aber immer noch mit Hammer und Bolzen wie seit über 40 Jahren.
Irgendwo am Ende der Halle, so wird mir erklärt, laufen derzeit letzte Tests an den Rumpfsegmenten der ersten 747-8I für Lufthansa. Ansonsten zählen nur Korean Air und ein VIP-Betreiber zu den wenigen Kunden für den neuen Passagier-Jumbo. Boeing scheint dieses Segment aber ohnehin so gut wie aufgegeben zu haben
Aber nicht nur beim abermals gestreckten Jumbo - auch bei den kleinen Flugzeugen muss Boeing aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. Denn auch im Werk Renton herrscht Old School: Hier wird wie eh und je der Dauerbrenner 737 zusammengenietet, während bei Embraer in Brasilien, bei Bombardier mit der C-Serie sowie in Japan und Russland bald wesentlich zeitgemäßere Konkurrenten an den Start rollen.
Zugegeben, die 737 ist perfekt dafür gebaut, um sie auf jedem schlecht ausgestatteten Provinzflughafen der Welt per Hand be- und entladen zu können. Aber wer braucht das heute noch? Gefragt sind vor allem sparsame Flugzeuge und die brauchen Getriebefan-Antriebe.
Airbus kann die großvolumigen Energiewunder offenbar noch unter den A320-Flügel quetschen. Unter den jahrzehntelangen Boeing-Topseller 737 passen sie wohl nicht mehr. Ein Nachfolger ist trotzdem nicht in Sicht. Bei Boeing wollte man sich letzte Woche nicht einmal darauf festlegen, dass ein solcher auch aus CFK bestehen würde wie der „Dreamliner“.
Jedenfalls befindet sich Boeing vor der Zulassung seines Hoffnungsträgers 787 in einem merkwürdigen Schwebezustand zwischen gestern und morgen. Die endlose Verzögerung hat am Selbstbewusstsein genagt, niemand mag noch darauf wetten, dass ANA ihre erste 787 tatsächlich Mitte des ersten Quartals 2011 erhält.
Die merkwürdigen Flugzeug-Mumien in Everett wirken da fast wie Mahnmale für das überehrgeizige Vorhaben, bereits im Mai 2008 (!) den Liniendienst zu beginnen. Daran konnte ich schon beim Rollout kaum glauben. Trotzdem glaube ich an Boeing. Denn die Amerikaner diktieren sich mit ihrem Werbespruch „Forever New Frontiers“ selbst die Richtung. Nichts bleibt, wie es war.
Sogar Air Berlin hat sich ja inzwischen den Realitäten angepasst und wird jetzt Mitglied der Oneworld-Allianz. Darauf hätte damals in dem Zelt in Everett auch niemand gewettet. Alles ändert sich. Sogar Achim Hunold.