Das Scheitern von Air Berlin war das einschneidenste Ereignis in der deutschen Luftverkehrs-Nachkriegsgeschichte. Lange Zeit war die Fluggesellschaft mit dem roten Herzen äußerst erfolgreich, dann jedoch immer mehr in eine Schieflage geraten und im August 2017 in die Pleite gerutscht sowie anschließend verschwunden.
Das nutzte vor allem eine Airline gekonnt für sich: Durch die Teilübernahme von Air Berlin hat die Lufthansa Group ihren Marktanteil auf den deutschen Flughäfen gemessen an der Zahl der angebotenen Sitzplätze von 50 auf 53 Prozent steigern können.
Etwa 15 Prozentpunkte der angebotenen Kapazität entfallen auf den Zubringerverkehr zu den Hubflughäfen Frankfurt und München, der im Gegensatz zu den Direktverkehren jeweils zwei Sitzplätze (Zubringer- und Anschlussflug) erfordert.
Marktanteil der Lufthansa auf deutschen Flughäfen mit mehr als drei Millionen Passagieren jährlich:
Quelle: BVA Kuhne/airliners.de, OAG/ch-Aviation, Stand 07/2018
Besonders hoch sind die Zugewinne auf dem vormaligen Air Berlin Drehkreuz Düsseldorf mit einem Sprung von 38 auf 50 Prozent. Hier wird auch der Langstreckenverkehr von Eurowings aufgebaut. Auf dem Flughafen München wirkt sich zusätzlich die Stationierung von fünf A380 der Lufthansa aus. Anteilswerte von 60 Prozent oder mehr sind insbesondere bei den großen Hubs in Europa üblich. Hier dominieren die jeweiligen nationalen Carrier. Der Wettbewerb wird zwischen den Drehkreuz ausgetragen.
Im Mittelpunkt vieler Betrachtungen stand die Frage, inwieweit es nach einem Marktaustritt von Air Berlin zu Monopolsituationen kommen könnte. Diese Frage muss für Teilmärkte beantwortet werden. Im interkontinentalen Verkehr waren aufgrund der globalen Anbieterstrukturen kartellrechtliche Probleme von vorn herein auszuschließen.
Verschiebung bei den Marktanteilen im Europa- und Inlandverkehr
Im Europaverkehr war nur vereinzelt im Verkehr mit Belgien, Österreich und der Schweiz mit marktbeherrschenden Stellungen zu rechen. Ansonsten stand der Markt neuen Wettbewerbern offen.
Hier hatte Air Berlin einen Marktanteil von elf Prozent. Nach dem Ende von Air Berlin konnte die Lufthansa Gruppe ihren Anteil um fünf Prozentpunkte steigern. Auf Easyjet entfielen vier Prozentpunkte. Die restlichen zwei Prozentpunkte verteilen sich auf weitere Carrier.
Der Marktanteil der in nachfolgender Tabelle aufgelisteten Carrier ist von 63 Prozent auf 70 Prozent gestiegen.
Angebotsstruktur an deutschen Flughäfen 2017 und 2018
Europaverkehr | Inlandverkehr* | |||
---|---|---|---|---|
September 2017 | September 2018 | September 2017 | September 2018 | |
Lufthansa Group | 51 | 56 | 74 | 90 |
Lufthansa | 33 | 35 | 50 | 59 |
Eurowings | 14 | 17 | 24 | 31 |
Austrian, Brussels, Swiss |
4 | 4 | - | - |
Air Berlin/Niki | 11/2 | -/1 | 25/- | - |
Ryanair | 6 | 6 | 1 | 1 |
Easyjet | 3 | 7 | - | 9 |
gesamt | 63 | 70 | 100 | 100 |
Anteil nach Flügen in Prozent; *= im Inlandverkehr sind Fluggesellschaften mit geringem Angebot nicht berücksichtigt | Quelle: BVA Kuhne/airliners.de, OAG/ch-Aviation, Stand 07/2018 |
Im gesamten Inlandverkehr hatte Air Berlin einen Marktanteil von 25 Prozent. Hiervon konnten sich Lufthansa und Eurowings 16 Prozentpunkte sichern und ihren Marktanteil insgesamt von 74 Prozent auf 90 Prozent steigern. Auf Easyjet entfielen die restlichen neun Prozentpunkte.
Weitreichende Umwälzungen im Inlandverkehr
Da die größten Marktverschiebungen auf den hochfrequenten Strecken im Inlandverkehr zu erwarten waren, fokussierte sich die Betrachtung von Anfang an auf den Inlandverkehr. Die Wettbewerbsfrage stellt sich allerdings nur im aufkommensstarken rein innerdeutschen (originären) Verkehr. Der Zubringerverkehr zu den Hubs bleibt außen vor.
Die Analyse wurde auf die aufkommensstärksten Originärrouten eingegrenzt, da auf Strecken mit weniger als 200.000 Originärpassagieren oneway in der Regel nur eine Fluggesellschaft wirtschaftlich operieren kann. Auf diesen 13 Routen wurden jährlich oneway 6,5 Millionen Passagiere befördert. Air Berlin war im Sommer 2017 noch auf neun Routen aktiv und kam hier insgesamt auf 2,3 Millionen Passagiere.
Auf den fünf Routen von Berlin nach München, Köln/Bonn, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf ist statt Air Berlin nun Easyjet als neue Anbieterin eingestiegen. Auf diesen Wettbewerbsrouten werden oneway etwa 3,3 Millionen Originärpassagiere befördert.
Davon entfallen etwa 1,2 Millionen auf Lufthansa, 1,0 Millionen auf Eurowings, 0,9 Millionen auf Easyjet und 0,2 Millionen auf die bereits zuvor auf der Route Berlin-Köln/Bonn operierende Ryanair. Air Berlin verzeichnete auf diesen Routen etwa 1,4 Millionen Passagiere.
In diesem "Wettbewerbsbereich" ergeben sich folgende Veränderungen bei den angebotenen Kapazitäten (Sitze oneway):
Lufthansa | + 37.000 | |
Eurowings | + 42.000 | |
Easyjet | 170.000 | |
+ 249.000 | ||
Air Berlin | - 205.000 | |
Transavia | - 4000 | |
- 209.000 | ||
gesamt | + 40.000 | |
Angaben nach angebotenen Sitzplatzkapazitäten; bei Interpretation der Lufthansa Kapazitäten ist zu beachten, dass diese im Verkehr zu den Hubs Frankfurt und München zu etwa 1/3 dem Feederverkehr zuzurechnen sind. | Quelle: OAG/ch-Aviation |
Viele Airports berichten, dass sie sich im Winter wünschten, Easyjet nehme weitere innerdeutschen Routen auf - zumal viele der erforderlichen Slots (noch) verfügbar waren.
Entstehen von Monopolrouten
So sind jedoch auf den übrigen acht Routen Lufthansa und Eurowings als alleinige Anbieter übriggeblieben. Zu diesen sogenannten Monopolrouten zählen die Strecken von München nach Hamburg, Düsseldorf, Köln/Bonn und Frankfurt sowie von Hamburg nach Stuttgart, Frankfurt, Köln/Bonn und Düsseldorf.
Von den rund 3,2 Millionen. Originärpassagieren entfallen etwa 2,1 Millionen auf Lufthansa und 1,1 Millionen auf Eurowings. Air Berlin hatte auf diesen Routen etwa 0,9 Millionen Passagiere befördert.
Wettbewerb
Eurowings ist als Tochterunternehmen kein Wettbewerber der Lufthansa. Auch der Hinweis, dass es auf vielen Strecken Wettbewerb durch die Angebote der Bahn gebe, ist nicht sehr stichhaltig. Eine neue Erhebung der ADV bestätigt, dass der Bodenverkehr (Pkw, Bahn, Bus) nur für jeden vierten innerdeutschen Passagier eine Reisealternative ist.
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In diesem Verkehrssegment ergeben sich folgende Veränderungen bei den angebotenen Kapazitäten (Sitze oneway):
Lufthansa | + 35.000 | |
Eurowings | + 64.000 | |
+ 99.000 | ||
Air Berlin | - 131.000 | |
gesamt | - 31.000 | |
Angaben nach angebotenen Sitzplatzkapazitäten; bei Interpretation der Lufthansa Kapazitäten ist zu beachten, dass diese im Verkehr zu den Hubs Frankfurt und München zu etwa 1/3 dem Feederverkehr zuzurechnen sind. | Quelle: OAG/ch-Aviation |
Die Kapazitätsaufstockung von Eurowings beruht im Wesentlichen auf der Aufnahme von drei neuen Routen zum Kranich-Hub München (Hamburg 18.000, Düsseldorf 19.000 und Köln/Bonn 19.000 Sitze). Der Einstieg am Flughafen München kann zum einen noch als eine Reaktion auf die vorübergehende Präsenz von Transavia gesehen werden.
Die Bedienung der drei Inlandrouten soll ferner wohl dem Markteintritt neuer Anbieter vorbeugen. Mittelfristig dürfte das Engagement ein erster Schritt zur Umstellung des Lufthansa Zubringerverkehrs auf den kostengünstigeren Billigableger sein.
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In der Summe ergibt sich bei den 13 aufkommensstärksten Routen im Originärverkehr eine Kapazitätsaufstockung um 9000 monatliche Sitze oneway. Rein rechnerisch ist die Air-Berlin-Lücke damit zum Spätsommer so gut wie geschlossen.
Im Inlandverkehr wohl mehr Wettbewerb als zuvor
Nach den Tarifsteigerungen um durchschnittlich 25 bis 30 Prozent Ende vergangenen Jahres dürfte es im Inlandverkehr trotz vermehrter Monopolrouten einen intensiveren Preiswettbewerb geben als Air Berlin ihn zuletzt bieten konnte. Vor allem auf den von Easyjet beflogenen Routen werden deutlich günstigere Tarife angeboten als zuletzt von Air Berlin.
Dies gilt auch im Vergleich zu Eurowings und in noch stärkerem Maße natürlich zur Lufthansa. Da Easyjet innerdeutsch einen neuen Tarifstandard setzt, wird dies vermutlich auch die Tarifgestaltung auf den Monopolrouten beeinflussen. Allein vor diesem Hintergrund ist die ansonsten vage Begründung des Kartellamts, von einem Marktmissbrauchsverfahrens gegen die Lufthansa abzusehen zu verstehen.
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Dass Ryanair momentan noch in größerem Stil auf innerdeutschen Strecken einsteigt, scheint äußerst fraglich, da hierzu über den Tag verteilte Slots auf den interessanten Routen ab München fehlen. Auch der weitere Ausbau des Streckennetzes in Frankfurt scheint ins Stocken geraten.
Ausblick
Doch die Entwicklung des Verkehrs wird auch von anderer Seite aus beeinflusst: Der bedarfsgerechte Ausbau der Flughäfen bleibt in Anbetracht der weiter wachsenden Luftverkehrsnachfrage der zentrale Hebel für eine nachhaltige Weiterentwicklung des Luftverkehrsstandortes Deutschland.
Seit Jahren schon hinkt Deutschland in der Verkehrsentwicklung im europäischen Vergleich hinterher, weil man dort inbesondere auf den größeren Flughäfen das Verkehrsangebot deutlich spürbarer ausgebaut hat.
Über den Autor

Nach 45 Jahren Praxis am Verkehrswissenschaftlichen Institut der RWTH Aachen und bei der ADV berät der Dipl.-Ing. und Dipl.-Wirtsch.-Ing. Manfred Kuhne Unternehmen bei Grundsatzpapieren und Stellungnahmen. Zudem arbeitet er für wissenschaftliche Institute, Beratungsunternehmen und Ingenieurbüros. Kontakt: apropos@airliners.de
Luftverkehr bewirkt über katalytische Folgewirkungen einen erheblichem volkswirtschaftlichen Zusatznutzen. Daher sollte der Ausbau des Luftverkehrsangebotes oberste Zielsetzung einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Luftverkehrspolitik sein.
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