Hinweis: Dieser Artikel wurde ursprünglich am 19. März 2020 veröffentlicht.
Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist das öffentliche Leben vielerorts eingeschränkt, und zahlreiche Länder haben ihre Grenzen geschlossen. In der Folge bricht für die Luftverkehrswirtschaft die Nachfrage weg.
Zahlreiche Fluggesellschaften halten fast ihre gesamte Flotte am Boden und Flughäfen gehen in den Notbetrieb über. Ein Zustand, der ein Ende finden, aber die Branche nachhaltig verändern wird. Einige Anbieter werden es schwer haben, zur vorherigen Stärke zurückzufinden, andere untergehen und für wieder andere ergeben sich auch neue Chancen.
Denn so schmerzhaft die kurzfristigen Einbrüche derzeit auch sind: Gut aufgestellte Anbieter erhoffen sich nun sogar einen längerfristigen Vorteil. So erwartet Lufthansa-Finanzchef Ulrik Svensson, dass Lufthansa "als Gewinner" aus der Krise hervorgehen wird.
Die Fluggesellschaft habe viel Nützliches zu den derzeitigen Veränderungen am Markt und den ergriffenen Maßnahmen mitgeteilt, schrieb Analyst Daniel Roeska vom Analysehaus Bernstein. Das Management sehe sich in der Lage, mit der Krise umzugehen. Die vorgenommenen schnellen Kapazitätskürzungen seien absolut richtig.
Beobachter erwarten schnellere Konsolidierung
Analyst Roeska ging in einer am Montag veröffentlichten Studie zur Branche davon aus, dass der Luftverkehr durch die Corona-Krise vorerst um 70 bis 80 Prozent kollabiert. Fluggesellschaften bräuchten wohl Regierungshilfe. Jene, die diese Phase gut überstehen, könnten dann aber mit neuen Chancen wieder aufblühen.
Da viele Airlines ihren Flugbetrieb nun nahezu einstellten, sei es wichtig, wie effektiv sie durch diese Zeit kämen und in welchem Maß die Regierungen sie stützten, schrieb auch HSBC-Analyst Andrew Lobbenberg in einer am Mittwoch vorgelegten Branchenstudie.
Mit Blick auf die kurzfristige Situation sieht er IAG, Ryanair und Easyjet besser aufgestellt als Lufthansa. Die stehe mit Blick auf die Barmittel weniger gut da. Bei Air France-KLM verweist der Experte auf niedrige Gewinnmargen, wenngleich beide Konzerne mit ihren strategischen Aufstellungen und den Managementteams überzeugt hätten.
Ryanair etwa verfüge über reichlich Barmittel und eine milliardenschwere Flugzeugflotte, schrieb Analyst Neil Glynn von der Credit Suisse in einer am Dienstag vorliegenden Studie. Damit habe Ryanair in der Viruskrise viele Möglichkeiten, schnell an Liquidität heran zu kommen. Die Iren seien in einer guten Position, um die Krise zu meistern.
Etliche Analysten haben bereits klargestellt, dass die aktuelle Krise die Konsolidierung innerhalb der Airline-Branche vorantreiben wird und einige kleinere Fluggesellschaften ihren Betrieb vermutlich aufgeben müssen. Verbraucherschützer warnen mit Blick auf die USA, wo die Konsolidierung bereits stärker vorangeschritten ist, auch in Europa vor "oligopolähnlichen Situationen" und steigenden Preisen.
Frachtfluggesellschaften erleben Corona-Boom
Anders ist die Situation bei den kurzfristigen Gewinnern der Virus-Krise. Sie müssen auf einen plötzlichen Nachfrage-Boom reagieren. So profitieren die gerade noch strauchelnden Frachtfluggesellschaften von einem sprunghaften Preisanstieg. Die Luftfracht-Kapazitäten für dringend benötigte Güter sind rar, die Frachtraten steigen.
Da normalerweise rund die Hälfte der Luftfracht in den Laderäumen von Passagierflugzeugen transportiert werden, die nun aber nicht mehr verkehren, setzen einige Fluggesellschaften nun sogar Passagierflugezuge als Frachter ein. Beispiele sind Lufthansa, Korean Air und auch Etihad.
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"Die weltweite Flotte der Frachtmaschinen ist mobilisiert worden, um den Kapazitätsausfall wettzumachen", sagte auch Iata-Generaldirektor Alexandre de Juniac. "Regierungen müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Versorgungslinien offen, effektiv und effizient bleiben." Luftfracht sei zur Versorgung der Welt aktuell besonders wichtig, der Betrieb müsse von den aktuellen Beschränkungen ausgenommen werden.
Auch wenn Frachtfluggesellschaften aktuell in einigen Ländern mit den zum Teil rigiden Quarantänebestimmungen für ihre Crews zu kämpfen haben, ist absehbar, dass die Nachfrage für Frachtkapazitäten auch nach der Wiederaufnahme der Passagierflüge anhält.
Schon jetzt fehlen Seefrachtkapazitäten, weil diese nach dem Corona-Ausbruch in China heruntergefahren wurden und so schnell nicht wieder verfügbar sind. Bis ein Containerschiff Europa erreicht, vergehen zudem etwa vier bis sechs Wochen, weiß sagt Prof. Dr. Christopher W. Stoller, Präsident des Aircargo Club Deutschland. Aus diesem Grund spiele die Luftfracht bei der Versorgung eine entscheidende Rolle. Privatjet-Betreiber haben nur kurz profitiert
Und noch ein spezieller Bereich der Verkehrsluftfahrt boomt wegen Corona: Die Unternehmen der Business Aviation haben derzeit weltweit Hochkonjunktur. Während normale Fluggesellschaften ihre Flüge streichen, planen wohlhabende Reisende einen Charterjet, um überfüllte Flughäfen und volle Airline-Kabinen auf kommerziellen Flügen zu vermeiden.
"Wir haben einen starken Anstieg der Nachfrage nach Business Jet Charter Services festgestellt”, sagte ein LunaJets-Manager Anfang März gegenüber CNN. Das war allerdings noch bevor die Ausbreitung Europa erreicht hatte.
Mittlerweile müssen Privatjet-Betreiber aber selbst die vermögendsten Kunden ablehnen, da Reiseverbote auch Flüge im Geschäftsreiseflugzeug nahezu unmöglich machen. Dennoch profitieren die Anbieter weiter von Aufträgen zur Evakuierung von Menschen aus betroffenen Gebieten, wenn etwa Firmen Außenstellen schließen und ihre Mitarbeiter nach Hause holen.
Wie sich das Coronavirus mittel- und langfristig auf den Markt der Geschäftsreiseflugzeuge auswirkt, bleibt derweil unklar.
Corona-Effekt in der Umwelt
Ebenso unklar sind die langfrstigen Folgen auf die Umwelt. "Wir werden eine Reduzierung der Emissionen durch Corona erleben", sagte der Präsident des Umweltbundesamts (UBA), Dirk Messner. Doch seien dies keine strukturellen Effekte, die das Problem auf Dauer lösen würden. Der "Corona-Effekt" könne im Gegenteil die Notwendigkeit überdecken, die Wirtschaft klimafreundlich umzubauen.
In der Tat wird es für finanziell angeschlagene Unternehmen schwieriger, Geld in emissionsarme Zukunftstechnologien zu investieren. Das gilt sowohl für Airlines, die nach Corona ihre Flugzeugbestellungen überprüfen werden, als auch für die Hersteller, von denen die milliarden-teure Entwicklung neue Antriebs- und Flugzeugtechnologien erwartet wird, um den Klimagas-Ausstoß der Luftfahrt langfristig senken zu können.
Dennoch könnte das Wachstum der Branche durch die aktuelle Krise zu einem geschärften Bewusstsein für oder gegen die Notwendigkeit von Flügen etwa bei Geschäftsreisen führen. "Tatsächlich dürfte die Corona-Krise zu einem Schub in der Digitalisierung führen", sagt etwa Hubertus Bardt vom Institut für Deutsche Wirtschaft. Damit einher gehe ein Verzicht auf Reisen: "Die Pandemie zeigt, dass viele Reisen entbehrlich sind, dass Meetings und Konferenzen durchaus auch digital funktionieren. Diese Entwicklung ist klimapolitisch durchaus vorteilhaft."
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Ohne Änderungen würde die Umwelt auch durch die Regularien im Corsia-Programm profitieren. Denn 2020 ist ein Referenzjahr für die Festlegung der Emissionen aus dem Luftverkehr. Unklar ist aber, in wie weit das vor dem Hintergrund der Coronavirus-Einbrüche im internationalen Luftverkehr so Bestand haben wird. Je weniger 2020 emittiert wird, desto mehr müssen die Fluggesellschaften in den Folgejahren im UN-Kompensations-System für ihre Emissionen bezahlen.
Lockerung der Beihilfe-Regularien für Fluggesellschaften
Im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise hat die EU-Kommission angekündigt, die Beihilferegelungen zu lockern. Die EU werde “maximale Flexibilität” zeigen, damit Regierungen ihre Ausgaben erhöhen und Staatsbeihilfen geben könnten, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am vergangenen Freitag in Brüssel.
Vizepräsidentin Margrethe Vestager kündigte zudem eine großzügige Auslegung der Regeln an, damit EU-Mitgliedsstaaten ihren Unternehmen und Bürgern unter die Arme greifen können. Darunter fallen auch Fluggesellschaften.
Möglich also, dass staatliche und ohnehin schon lange von finanziellen Problemen betroffene Airlines wie Alitalia oder SAS zu den potentiellen Gewinnern der Krise gehören, denn sie können nun zunächst einmal problemlos weiterfinanziert werden.
So hat Italien bereits angekündigt, Alitalia mit weiteren 500 Millionen Euro zu stützen und die Bemühungen um einen Verkauf der Staatsanteile einzustellen. Mit der Verstaatlichung soll ein Jahrzehnt immer neuer Hilfskredite für Alitalia als Privatunternehmen enden.
Alitalia steckt seit Jahren in der Krise und ist seit Mai 2017 insolvent. Die Corona-Krise habe die Regierung in der "Idee bestärkt, dass Alitalia ein nationales Unternehmen von strategischer Bedeutung" für Italien sei, hieß es. Italien gehört zu den am stärksten verschuldeten Ländern in Europa und verzeichnet zugleich das schwächste Wirtschaftswachstum.
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Schweden und Dänemark haben derweil der SAS Kreditgarantien in Höhe von 138 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um den Liquiditätsengpass bei der skandinavischen Fluggesellschaft zu beenden. Nach etlichen Sparprogrammen und strategischen Neuausrichtungen hatte die chronisch klamme Fluggesellschaft zuletzt wieder Gewinne eingeflogen.
SAS decke den Bedarf an Luftfahrtinfrastruktur in Schweden und Dänemark ab, teilten die Staaten mit. Daher müsse die Airline bestehen bleiben. Weitere Maßnahmen in der Zukunft seien nicht ausgeschlossen.
Auch die staatliche polnische Lot-Mutter PGL muss sich vor dem Hintergrund der gelockerten Beihilferegularien wohl wenig Sorgen machen, ob die zusätzlichen Millionen, die für das aktuelle Grounding der Lot aufgewendet werden müssen, den Kauf der deutschen Condor gefährden. Unter normalen Umständen wäre es wohl ein No-Go, Zukäufe zu tätigen und gleichzeitig staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen.
Zum Krisengewinner könnte also Unternehmen werden, deren Heimatländer besonders große staatliche Hilfsprogramme auflegen oder diese, die nun vor dem Hintergrund von Corona staatlich aufgefangen werden , obwohl es vorher schon nicht lief.
Beihilferegelungen für Flughäfen
Unklar ist derweil weiterhin, inwiefern die Beihilferegularien für Flughäfen auch längerfristig gelockert werden. Sollten die Regeln jahrelang ausgesetzt werden, könnten davon sogar schlussendlich auch insbesondere kleinere Flughäfen profitieren, die eigentlich ab 2024 gar keine Subventionen für den Betrieb mehr erhalten dürfen. Auch bei Hilfen für Infrastrukturmaßnahmen will die EU Subventionen zukünftig eigentlich strenger deckeln.
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Schon vor der Corona-Krise hatten die deutschen Flughafenverbände daran gearbeitet, dass bei der bis April 2020 angekündigten Gesamtevaluierung weitere Änderungen an den Richtlinien erfolgen. Dabei ging es noch um unterschiedliche Berechnungen bei den Kosten für Aufgaben wie Flugsicherung oder Feuerwehr, die an einigen Standorten und Ländern vom Staat übernommen werden und an anderen nicht.
Vor dem Hintergrund der gravierenden Einbußen im Zuge der Coronavirus-Ausfälle auf die operativen Einnahmen der Flughäfen erscheinen derlei Diskussionen allerdings nun eher nebensächlich.