Als sich Ende 2019 plötzlich in China ein neues Virus verbreitete, ahnten die meisten noch nicht, was da auf die Welt zukam.
Es war ein Coronavirus oder genauer Sars-Cov-2, welches die Krankheit Covid-19 auslöste und zu bis dato unbekannten Beschränkungen weltweit führte. Die erste Pandemie in einer stark globalisierten Gesellschaft. Eine anstrengende Zeit insbesondere für die Luftfahrt, die vieles durcheinanderwirbelte.
Da wurden Frachtfluggesellschaften plötzlich zu den größten Airlines oder das vom Flugverkehr sehr abhängige Norwegen mitunter der größte Luftverkehrsmarkt im Eurocontrol-Raum.
Es passierte aber auch Tragisches, denn Passagierairlines lösten sich von viel Personal, welches sie später plötzlich händeringend wieder suchen. 2022 rächten sich die Entlassungen und sorgten für ein riesiges Chaos im Luftverkehr.
Selbiges galt natürlich insbesondere für die Bodendienstleister. Während die Airlines wenigstens vom Staat gut unterstützt wurden, lief es am Boden alles andere als gut.
Eine schwierige Zeit für viele Branchen, die auch mit dem Flugverkehr zusammenhingen. Vom Tourismus mit seinen Destinationen über die fehlenden Kunden in Reisebüros und dem Geschäftsreiseverkehr bis hin zur besonders hart getroffenen Kreuzfahrtindustrie.
Die wenigen Profiteure der Krise, wie etwa die Frachtfluggesellschaften, konnten die negativen Effekte nicht einmal annähernd abfangen, die in alle Lebensbereiche eindrangen. Es zeigte sich, wie empfindlich eine vernetzte Gesellschaft auf eine Pandemie reagierte.
Fünf Stunden Lesematerial ohne Paywall
Die Pandemie begleitete airliners.de von April 2020 bis März 2022 mit vielen detaillierten Artikeln. Die boten jeweils einen genauen Blick auf die aktuelle Lage mit einem starken Augenmerk auf die Luftfahrt. Das aber auch immer mit einem Blick auf die tatsächlichen Statistiken, die ein wertvolles Werkzeug waren.
Wenngleich insbesondere Deutschland große Schwierigkeiten mit Statistiken hatte und airliners.de daher oft auch den Blick in sehr detaillierte Statistiken im Ausland warf. Vor allem die Spanier – Deutschlands wichtigste Flugdestination – konnten vorbildlich die Pandemie erfassen, was dem Gesamtverständnis für die Luftfahrtbelange half.
Herausgekommen sind 27 Artikel, die der Serie zugeordnet wurden und als Corona-Lageberichte für die Luftfahrt, die nun ohne "airliners+"-Abo lesbar und damit frei zugänglich ist. Rund fünf Stunden Lesezeit stellen die Artikel dar:
Wir öffnen an dieser Stelle unser Archiv, weil hier eine Sammlung entstanden ist, die den Verlauf der Pandemie bis ins Jahr 2022 detailliert nachzeichnet. Eine Sammlung, die wir fortan der Allgemeinheit zur Verfügung stellen wollen.
Das "nach der Pandemie"-Geschehen kostete viel Geld und Arbeitskraft
Doch was passierte eigentlich nach diesen Berichten? Wir wollen mit diesem Artikel auch grob die Lücke schließen und einen Ausblick auf den kommenden Herbst bieten, denn Corona ist – trotz vieler anderslautender Versprechen des Pandemieanfangs – nicht verschwunden.
Doch was geschah eigentlich "nach" der Pandemie? Im März 2022 beendeten wir die Serie, denn aus Sicht der Luftfahrt war die Pandemie zwar nicht beendet, hatte jedoch kaum noch zu erwartende Auswirkungen auf das Geschehen der Industrie.
Faktisch war diese Zeit aber nicht durch ein "nach der Pandemie" gezeichnet, auch wenn es sich für manchen so anfühlte. Stattdessen ging es für das Virus erst richtig los.
Denn viele Länder gingen nun davon aus, dass die erhöhte Immunität der durchschnittlichen Bevölkerung durch Impfdosen und teils auch durchmachten Krankheitsverläufen stark genug ist. Die Pandemieauswirkungen sollten so aufgefangen werden, aber nicht ohne auch ältere und schwächere Menschen der Gesellschaft zu treffen, die nicht mehr geschützt wurden.
AU-Tage der vergangenen Jahrzehnte. © Techniker Krankenkasse
Die Auswirkungen waren jedoch groß. Zwar zeigten die damals aktuellen Statistiken kaum noch gut verwendbare Daten, denn was man nicht erfasst, kann man auch nicht benennen. Doch einige Zeit später zeigte sich die "Nach-Pandemie-Zeit" durch Statistiken der Krankenkassen. Und auch manch aufmerksam beobachtender Fluggast merkte, dass viele Unternehmen mit hohen Krankenständen zu kämpfen haben. Warum konnte aber kaum gesagt werden, denn ein Arbeitgeber erfährt aus Datenschutzgründen nur selten, warum das Personal erkrankt.
Die Auswirkungen waren dafür finanziell erkennbar. Zwar erwirtschafteten die Krankenkassen in Deutschland 2022 ein Plus, doch das eigentlich nur, weil der Bund für die Pandemiekosten in großen Teilen aufkam. So heißt es in der Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums: "Zur Bewältigung der Corona-Pandemie trug der Bund im Jahr 2022 einen Großteil der Ausgaben für pandemiebedingte Zahlungsverfahren, die aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds vorfinanziert werden." 21,4 Milliarden Euro kostete dies. Oder auf die Bevölkerung umgerechnet: rund 260 Euro pro Person, vom Baby über den Schüler bis zur Rentnerin.
Auch die Krankenkassen selbst konnten statistisch belegen (PDF), dass die Menschen häufiger krank wurden und Arbeitskraft fehlte.
Interessant sind exemplarisch etwa die Analysen der Techniker Krankenkasse (TK). Schon wer 2020 an Corona erkrankte, war nach Angaben der Techniker Krankenkasse im Durchschnitt länger krankgeschrieben als jene, die die Krankheit nicht durchmachten. Doch nur wenige wurden aufgrund der Schutzmaßnahmen überhaupt krank.
Zunahme der Krankheiten im Jahr 2022 aus dem Abschlussbericht des Jahres 2023. © Techniker Krankenkasse
Das änderte sich 2022 schlagartig. "Für kein anderes Quartal seit Beginn der Auswertungen zum Gesundheitsreport der TK ab 2020 ließ sich ein höherer Krankenstand als für das erste Quartal 2022 ermitteln", heißt es seitens der Technikerkrankenkasse. Zwar wurden nur 3,5 Prozent der Krankschreibungen mit Covid-19 deklariert. Doch weitere 25,1 Prozent fielen allgemein auf Erkältungskrankheiten.
Auffallend sind vor allem die Zunahme der Atemwegserkrankungen, während andere Krankheitsbilder, wie etwa psychische Störungen, im Trend der letzten Jahrzehnte wuchsen.
Viele Menschen im Beruf mit Mitgliedschaft in der Techniker Krankenkasse wurden 2022 mit Atemwegskrankheiten erfasst. © Techniker Krankenkasse
Mit dem Fallen der Pandemiebeschränkungen ging also ein enormer Verlust an Arbeitsleistungen und damit auch Wirtschaftsleistung einher. Das wohlgemerkt trotz Maßnahmen wie den mehrfachen Impfungen.
Arbeitsunfähigkeits-Tage nach Jahren sortiert. 2022 kam es zu einem enormen Sprung © Techniker Krankenkasse
Dazu kommen übrigens noch langfristige Effekte. Insbesondere wer länger unter Covid litt oder leidet (Long Covid), wurde und wird nicht korrekt erfasst. Denn "In der ICD-10-Diagnoseklassifikation ist eine derartige Differenzierung nicht vorgesehen", so die Techniker Krankenkasse. Laut AOK-Erhebung im Fehlzeiten-Report waren bis Juli 2022 aber 3,8 Prozent von Long Covid betroffen. Zudem gibt es von der AOK Zahlen, dass je Corona-Erkrankung die Versicherten im Schnitt 9,5 Tage arbeitsunfähig waren.
Wer sich übrigens wundert, warum die Krankentage bei der TK im Jahr 2021 sanken: Das hing damit zusammen, das im Rahmen der Corona-Maßnahmen auch eine Grippe- und Erkältungswelle nahezu vollständig ausblieb, wie die TK schreibt.
Die Unbekannten im Jahr 2023
War die Datensituation im Jahr 2022 schon schlecht, dann ist sie im aktuellen Jahr noch schlechter. Viele Statistiken, die Corona nachweisen könnten, wurden eingestellt. Hinweise gibt es nur noch indirekt, etwa durch die Beobachtung der Abwasser-Belastung mit Sars-Cov-2.
Im Rahmen der Influenza-Erfassung wird mittlerweile vom Robert Koch Institut im ARE-Wochenbericht der Kalenderwoche 36 (PDF) auch die Situation zu Sars-Cov-2 dargestellt. In Ermangelung von Daten wird viel mit Schätzungen gearbeitet, was im Rahmen der Grippe-Erfassung aber ein normaler Vorgang ist.
Zur Einordnung: Im ARE-Bericht wurden mit 88 sogenannten Sentinelproben gearbeitet. In 51 der Proben wurden durch das Nationale Referenzzentrum für Influenzaviren respiratorische Viren nachgewiesen.
Probenergebnisse des RKI-ARE-Berichts der Kalenderwoche 36. © RKI
Davon ließ sich aber in immerhin 17 Proben Sars-Cov-2 nachweisen, während in 29 Fällen Rhinoviren gefunden wurden. Beides nimmt aktuell zu, aber wohlgemerkt auf der Datenbasis von 88 Proben in einer Kalenderwoche. Eine statistisch sehr schwierige Größe. Eine neue, potenziell gefährlichere Variante von Sars-Cov-2 zu entdecken dürfte so sehr schwierig werden.
Etwas interessanter ist da das Abwasser-Monitoring. Hier zeigt sich, dass in einem Großteil der über 40 Standorte, an denen gemessen wird, aktuell die Belastung an Sars-Cov-2 noch steigt. Vergleiche sind aber auch hier schwierig. Während andere Länder schnell erkannten, wie wertvoll die Abwasserdaten sind, hat man hierzulande erst Mitte 2022 mit der Erfassung angefangen.
Corona-Abwasser-Beobachtung. © Bundesministerium für Gesundheit
Ob das gute Zahlen sind, lässt sich schwer beurteilen. Aktuell sinkt die Steigung der Steigung, sprich weniger Regionen melden einen Anstieg. Es sind zu Ende August aber immer noch 44 Prozent der Messstandorte mit ansteigender Viruslast. Das ist insbesondere deswegen von Relevanz, weil sich in der Vegangenheit starke regionale Unterschiede erkennen ließen. Allerdings auch bedingt durch Schutzmaßnahmen.
Daraus lässt sich natürlich die Schwere von Verläufen oder eventuelle Krankheitstage von Personal nicht ablesen. Insbesondere auf die Arbeitsunfähigkeitszahlen muss bis 2024 warten. Solche statistischen Auswertungen brauchen viel Zeit und eignen sich nicht für die Früherkennung oder gar ein Gegensteuern.
Schwer zu beurteilende Lage
Wie genau die Lage der Pandemie ist, lässt sich zumindest in Deutschland kaum abschätzen. Die Anstiege der letzten Wochen wurden hierzulande kaum kommuniziert. Eventuelle Maßnahmen, die den Luftverkehr betreffen, sind aktuell aber nicht abzusehen, wobei dies eben auch an der schlechten Informationslage liegt.
Es gibt aber auffallende Aktivität in anderen Ländern. So kann man etwa von einem kleinen Corona-Ausbruch in einem Pflegeheim in Ost-England erfahren. Die UK Health Security Agency publizierte nach monatelanger Pause wieder ein sogenannten Technical Briefing (Nummer 53) inklusive detaillierter Variantenbetrachtung.
Auch die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC zeigt noch detaillierte Zahlen. Die Behörde zeigt vor allem noch, welche Länder aktiv mit Sequenzierungen versuchen herauszufinden, welche Varianten unterwegs sind.
Einzelne Stichproben zeigen, dass es weltweit schwerer wird, gute Statistiken zu bekommen. Das gilt auch für die ehemals vorbildlichen Statistiken Islands. Im März 2023 wurde die Erfassung über covid.is komplett eingestellt. Die Zahlen sind aber weiter – wenn auch in eingefrorenem Zustand – einsehbar. In den Jahren 2020 und 2021 waren isländische Zahlen oft ein guter Indikator für das zu Erwartende.
Es gab Zeiten, da ließ sich über isländische Daten zusammen mit Quellen aus Spanien, Dänemark und dem Vereinigten Königreich die Pandemie hierzulande genauer abschätzen als über die lückenhaften Daten des RKI.
Alles in allem sieht es derzeit aber danach aus, als würde Sars-Cov-2 über den Winter eine ähnliche Entwicklung wie in den vergangenen, in der Bevölkerung oft unbemerkten Wellen, entwickelt. Indikatoren, dass sich etwas ändert, dürften eher im Bekanntenkreis zu erkennen sein. Einschränkungen im Flugverkehr sind daher kaum zu erwarten, zumal viele Reisende mittlerweile eine Versicherung haben oder die Versicherung so angepasst wurde, dass auch Corona abgedeckt ist.