Seit 2015 beantwortet Flugkapitän Nikolaus Braun in der airliners.de-Serie "Antworten aus dem Cockpit" Leserfragen zu Themen rund um Luftfahrttechnik und Flugbetrieb. Die beliebtesten Folgen aktualisieren wir derzeit und veröffentlichen sie neu. Wenn Sie auch eine Frage haben, schreiben Sie an antwortenausdemcockpit@airliners.de
Was fliegt sich besser - Boeing oder Airbus?
Stephan K.
Auf den großen Luftfahrtmessen im Sommer verkünden Airbus und Boeing jedes Jahr die neuesten Entwicklungen. Dabei ist in der Luftfahrt in den vergangenen Jahren technologisch eigentlich nicht viel Grundlegendes passiert.
Betrachtet man die Boeing 737, die sich nach wie vor gut verkauft, sieht man im Grunde einen Oldtimer vor sich. Jede 737, die heute verkauft wird, basiert immer noch in vielen Technologien und auch von der Zulassung her auf der Ur-737, die ab Februar 1965 entwickelt wurde und 1967 ihren Erstflug hatte. Diese wiederum beruht zu großen Teilen auf der deutlich älteren Boeing 707, 720 und 727, mit denen sie sich den Rumpfentwurf teilt.
Etwas neuer ist der Airbus A320. Und obwohl auch dieser Grundentwurf bereits über 30 Jahre alt ist, prägt er die Luftfahrt bis heute. Denn die Airbus-Ingenieure ersetzten damals erstmals die herkömmlichen Drahtseile zur Steuerung in einem großen Verkehrsflugzeug durch eine Computersteuerung und elektrische Kabel.
Ein treffenden Namen gaben sie der Technik auch: "Fly by Wire" (FBW). Und genau die Philosophie dieser Computersteuerung ist bis heute der entscheidende Unterschied zwischen Airbus- und Boeing-Flugzeugen.
"Fly by Wire" hat die Luftfahrt revolutioniert
Die Einführung des FBW-Konzeptes war auf den ersten Blick eine Reduktion des Gewichtes und bedeutete weniger mechanisch beanspruchte Bauteile im Flugzeug, die mit der Zeit ermüden können. Die eigentliche Revolution spielt sich aber einen Schritt vorher ab: Auf einmal redeten die Computer bei der Steuerung mit!
Bei einem konventionellen Flugzeug bewegt der Pilot die Steuersäule und gibt damit direkt die Vorgabe, wie die Steuerflächen ausgeschlagen werden. Auch hier gab es schon Berechnungen und Logikschaltungen, die etwa geschwindigkeitsabhängig entscheiden, welche Steuerflächen wie stark ausgeschlagen werden – gerade auch dann, wenn sich zwei Signale überlagern. Aber dies geschah nur in sehr überschaubarem Umfang.
Blick ins Cockpit des Airbus A380 © Airbus
Bei einem FBW-Airbus gibt der Pilot allerdings den Input mit einer Art Joystick – dem Sidestick – an die Computer. Die Computer überprüfen die Eingabe und können sie nach Belieben modifizieren, zum Beispiel um Schutzmechanismen wirken zu lassen.
Konkret stellt sich das folgendermaßen dar: Wenn das Flugzeug beispielsweise zu langsam wird und ein Strömungsabriss droht, beginnen die Computer, die Signale des Piloten zu ignorieren: Das System gibt maximale Leistung auf allen Triebwerken und senkt die Nase, auch wenn der Pilot eigentlich das Kommando "Nase hoch" gibt.
Eine Revolution: Nicht mehr der Pilot hat die absolute Kontrolle über das Flugzeug. Das Flugzeug überstimmt den Piloten. In der Folge können Piloten das Flugzeug in der Theorie nicht mehr absichtlich oder unabsichtlich in den Strömungsabriss fliegen.
Auch die Flugzeugsteuerung an sich haben die Ingenieure im selben Atemzug grundlegend geändert. Der Pilot kommandiert mit seinen Eingaben nicht mehr die Steuerflächen, er gibt den Computern eine gewünschte Änderung der Bewegung vor. Im Umkehrschluss bedeutet das: Bekommt das Flugzeug keine Eingabe zur Änderung der Lage, hält es die aktuelle Fluglage automatisch bei.
Auf den ersten Blick ist das komplex zu verstehen. Stellen Sie sich vor, sie wollen mit ihrem Auto immer linksherum im Kreis fahren. Während Sie bei einer herkömmlichen Steuerung das Lenkrad permanent nach links gelenkt halten und je nach Geschwindigkeit oder Bodenwellen korrigieren müssen, reicht bei einer Airbus-ähnlichen Steuerung ein kurzer Links-Input. Dann lassen Sie den Sidestick los und Sie würden den Kreis perfekt immer weiterfahren.
Ein Airbus kann also ebenso präzise hoch oder runter, geradeaus wie auch durch Kurven fliegen, nachdem die entsprechende Steuerung einmal eingeleitet wurde. Das Flugzeug erzeugt automatisch die notwendigen Steuerausschläge, um die Lage zu halten, und die Trimmung kompensiert Veränderungen des Schubeinflusses.
Auch bei Störungen von außen kehrt das Flugzeug in seine Ausgangslage zurück. Aber damit nicht genug: Egal wie hoch oder schnell das Flugzeug fliegt, wird es immer gleich auf Eingaben reagieren.
Piloten müssen Computersysteme verstehen
Die Airbus-Ingenieure waren anfangs sogar der Ansicht, dass der Pilot in Zukunft kaum noch etwas können müsse, da das Flugzeug sich um vieles kümmert und gut auf ihn aufpasst.
Es kursiert die Legende, dass Airbus zur Einführung des FBW-Konzeptes im A320 gesagt habe, das Flugzeug könne sogar von einem Affen gesteuert werden. Mit den Jahren hat sich dies aber als Trugschluss erwiesen.
Airbus hat mittlerweile lernen müssen, dass die hohe Komplexität des FBW-Konzeptes auch ein umfangreicheres Wissen der Piloten erfordert. Nur wenn die Piloten das Flugzeug verstehen, können sie beurteilen, was ein ordnungsgemäßes Verhalten ist oder ob eine Fehlfunktion existiert. Die Ausbildung hat sich damit grundlegend verändert.
Auch Boeing setzt auf Computersteuerung
Natürlich hat Boeing den Fortschritt bei Airbus genauestens beobachtet. Alle kompletten Neuentwürfe seit dem A320 – also die 777 Mitte der 90er und aktuell die 787 – haben ebenfalls FBW-Steuerungen bekommen. Auch für Boeing wäre es möglich gewesen, das System so konsequent umzusetzen wie bei Airbus. Doch Boeing ist seiner Philosophie treu geblieben, dass der Pilot das letzte Wort hat.
Piloten der Thomson Airways sitzt im Cockpit einer Boeing 787 © dpa / Julian Stratenschulte
Natürlich gibt es auch Warnungen und Feedback vom Flugzeug, wenn der Pilot es in Flugleistungsbereiche steuert, in denen es gefährlich wird – er kann es aber immer noch überstimmen.
Dieses grundlegende Prinzip zeigt sich auch in vielen anderen kleinen Details am Flugzeug. Seien es die Schubhebel, die bei Airbus im Normalbetrieb nur in vier Rasten "geschaltet" werden und sich nicht weiter bewegen, wohingegen sie sich bei Boeing kontinuierlich mitbewegen.
Insgesamt ergibt sich dabei das Bild, dass Boeing klassische "Pilotenflugzeuge" baut, während Airbus auf "Ingenieursflugzeuge" setzt. Dem einen Piloten liegt dabei das eine System mehr, dem anderen eventuell das andere. Gut und sicher sind bei optimaler Ausbildung beide Ansätze.