Seit 2015 beantwortet Flugkapitän Nikolaus Braun in der airliners.de-Serie "Antworten aus dem Cockpit" Leserfragen zu Themen rund um Luftfahrttechnik und Flugbetrieb. Die beliebtesten Folgen aktualisieren wir derzeit und veröffentlichen sie neu. Wenn Sie auch eine Frage haben, schreiben Sie an antwortenausdemcockpit@airliners.de
Kleine Haufenwolken im Sommer – die sind doch wirklich ungefährlich, oder?
Georg F.
Wer in den Sommermonaten mit dem Flugzeug geflogen ist, hat sicherlich in der Streckenansage des Piloten schon einmal die gern verwendete Floskel "wir fliegen um ein paar hochreichende Wolken herum" gehört.
Wolken? Ausweichen? Wollen die Herren oder Damen da vorne Überstunden sammeln? Nein, mitnichten. Für Piloten ist die Wetterkunde ein zentrales Thema der Flugausbildung und wird während des späteren Lebens fortwährend gebraucht. Die Wetterlage im Auge zu behalten und Wolken zu beobachten, ist wichtig, damit der Pilot bestimmen kann, um welche Wolken oder Wetterphänomene es sich handelt und welche Gefahren davon ausgehen.
Ein grauer Herbsttag mit Regen – kann das gefährlich sein?
Eine typische Wetterlage, wie wir sie in Zentraleuropa kennen – und oft hassen – sind diese Tage, an denen der Himmel durchgehend grau ist und es auch regnen kann – gerne langanhaltender "Landregen". Diese Wetterlage kommt oft bei Annäherung einer Warmfront zu Stande: Die (etwas) wärmere Luft schiebt sich langsam auf die kalte Luft, kühlt in der Höhe ab und bildet Wolken. Die Meteorologen sprechen von Schichtwolken.
Für die Luftfahrt bedeutet Schichtbewölkung eine prinzipiell stabile Wettersituation. Es gibt am Boden recht konstante Winde und teilweise Niederschlag. In der Luft ist es prinzipiell auch ruhig. Das Risiko hier ist das Wasser: In dieser Art der Bewölkung können sich große Mengen an Wasser bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ansammeln. Für Flugzeuge besteht die Gefahr zu vereisen.
Vereisung bei Flugzeugen hat zwei Auswirkungen: Zum einen nimmt das Flugzeuggewicht durch das angesammelte Eis deutlich zu. Zum anderen wird die Aerodynamik des Tragflügels massiv beeinträchtigt. Um dem vorzubeugen, besitzen alle Verkehrsflugzeuge Anlagen zum Schutz vor Eisansatz an der Tragflächenvorderkante: Im Normalfall wird warme Luft aus den Triebwerken in die Vorderkante geblasen und das Eis dadurch gelöst. Kleinere Flugzeuge haben teilweise auch elektrische Heizelemente oder Gummischläuche, die aufgeblasen werden können. Solche Wolken stellen bei funktionierendem Eisschutz also keine Gefahr dar.
Im Sommer ist ein anderes Wetterphänomen an vielen Orten der Welt bekannt: Am späten Vormittag bilden sich die ersten kleinen, weißen Häufchen und entwickeln sich über den Mittag und Nachmittag zu größeren Haufenwolken. Dieses Wolkenbild sieht oft sehr malerisch aus und ist mit schönen Sommertagen verbunden. Das, was für den Beobachter am Boden nach netten, weißen Haufen aussieht, ist aus Sicht eines Piloten nicht ungefährlich: Die Haufenwolken entstehen durch aufsteigende Luftmassen.
Hier sind enorme Massen in Bewegung; viel mehr, als man sich vorstellt: Angenommen, eine Wolke ist vereinfacht jeweils einen Kilometer breit, lang und hoch – alles Maße, die nicht unüblich sind und oft auch deutlich größer ausfallen. Diese Wolke hätte ein Volumen von einer Milliarde Kubikmeter. Entspricht ein Kubikmeter Luft ungefähr einem Kilogramm, erhält man für den großen Würfel an Luft ein Gewicht von einer Million Tonnen – und das für eine einzelne, kleine Wolke.
Gefährlich wird es, wenn diese Luft in Bewegung ist. Vertikalgeschwindigkeiten von 50 Kilometern pro Stunde oder mehr sind möglich und können für leichte bis mäßige Turbulenz, die ein großes Verkehrsflugzeug gut durchschütteln kann, sorgen.
Kräfte in den Wolken werden zu stark
Gefährlich wird es aber, wenn sich die kleinen Haufenwolken zu großen entwickeln. Wachsen die Wolken immer weiter und bauen sich zu großen Türmen auf, deren Oberseite sich am Rand der Atmosphäre in zehn bis elf Kilometern Höhe wie ein Amboss ausweitet, ist spätestens der Punkt erreicht, an dem Flugzeuge diesen Wolken ausweichen: Jetzt sind die Kräfte in den Wolken durch Auf- und Abwinde so brutal, dass mit extremer Turbulenz und unkontrollierbaren Flugzuständen zu rechnen ist.
Wasser, das sich in der Wolke befindet, kann in allen Aggregatzuständen vorkommen: als Wassertropfen, als unterkühlter Wassertropfen ("supercooled large droplet", flüssiges Wasser unter null Grad Celsius, das bei Auftreffen auf ein Flugzeug sofort gefriert), als Schnee oder als Hagel. Extreme Turbulenz und Hagelschlag sind daher die Hauptgefahren in solchen Wolken.
Die Wetterphänomene treten jedoch nicht nur in der Wolke selbst auf, sondern können auch Auswirkungen auf die Bereiche drumherum haben, zum Beispiel, wenn die Wolke gleich einem Vulkan etwa Hagel oben hinausschleudert. Man nennt diese großen Wolken Cumulonimbus, oder kurz "CB".
Was ist denn nun mit dem Gewitter?
Der Unterschied zwischen einem Gewitter und einem Cumulonimbus ist nicht sehr groß: Für ein Gewitter fehlt nur noch ein Blitz. Blitze können in CBs leicht auftreten, da die Reibung durch die großen Luftbewegungen im Inneren sehr groß ist und damit die elektrische Ladung ansteigt. Die meisten Blitze entladen sich innerhalb einer Wolke und kommen gar nicht am Erdboden an. Nur ein kleiner Teil erreicht als Entladung den Erdboden.
Für ein Flugzeug sind die Blitze nicht allzu gefährlich: Die metallische Außenhaut wirkt als Faraday'scher Käfig und leitet die Spannung gefahrlos ab. Lediglich die Ein- und Austrittsstelle müssen gesucht, gefunden und untersucht werden: Hier kann es aufgrund der großen Temperaturen zu kleinen, lokalen Schäden kommen.